Eine Tierrechtsaktivistin wird während einer Mahnwache von einem Transporter voller Mastschweine überfahren, Deutschlands größter Fleischkonzern Tönnies ist Corona Hotspot Europas, Landwirtschaftsministerin Klöckner hat den Begriff Tierwohl nicht verstanden und ein neuer, potenziell Pandemie-gefährlicher Virus wurde in Chinas Schweinemast gefunden. Die sogenannte Nutztierindustrie fällt auf. Und definitiv nicht positiv. Das Problem an der Wurzel zu behandeln, traut sich aber kaum jemand.
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Regan Russell ist tot. Die 65-jährige Tierrechtsaktivistin aus Toronto stand am 19. Juni zum letzten Mal mit einer Mahnwache von Toronto Pig Save vor dem Schlachthaus, um die Schweine in ihren letzten Momenten zu begleiten, ihr Leid zu dokumentieren und zu protestieren. Die Welt hat eine wichtige Person verloren, eine, die ihr Leben dem Ende jeglicher Unterdrückung gewidmet hatte. Der Tod einer Mitaktivistin schockiert, macht betroffen. Eine, die gegen das Töten in der Tierindustrie kämpfte, ist selbst Opfer von ihr geworden. Regan Russell wird von vielen Aktivist*innen erinnert werden, und ihre Mission weitergeführt.
All eyes on Tönnies
Währenddessen rückt in Deutschland der Fleischriese Tönnies schlagartig in das Bewusstsein. Im Jahr 2019 wurden in Deutschland 59,7 Millionen Schweine, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde geschlachtet, 20 000 Schweine auf Tönnies’ Firmengelände in Rheda-Wiedenbrück an einem Tag allein. Diese Industrie ist erschreckenderweise nichts Neues und doch fällt sie plötzlich auf. Denn in dem besagten Betrieb wurden Corona-Infektionen bei fast jeder sechsten Person der 6500 Mitarbeitenden festgestellt. Für den Kreis Gütersloh bedeutet das: Die Marke für den Corona-Rekordausbruch in ganz Europa ist geknackt, abermals Lockdown und Quarantäne und die Schließung der Kindergärten und Schulen. Die Verantwortungslosigkeit der Unternehmensführung müssen die Mitarbeiter*innen und Anwohner*innen auf ihren Schultern tragen. Der Unmut wächst, die Kritik auch.
So wird besonders Clemens Tönnies, Geschäftsführer der Tönnies Holding kritisiert und unter anderem über eine Petition zum Rücktritt aufgefordert. Knapp 40 000 Menschen haben bereits unterschrieben. Eine kurze Recherche zeigt, dass nicht nur der jüngste Corona-Skandal Clemens Tönnies in ein ungutes Licht rückt.
Sein Wikipedia-Artikel besteht fast ausschließlich aus der Darstellung der Kontroversen, die sein Wirken zu durchziehen scheinen. Dazu gehören: Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung, Cum-Ex Geschäfte und eine Rassismus-Debatte, um nur eine Auswahl der sieben Unterpunkte zu nennen. Der Forderung mit dem Rücktritt ist Tönnies nun nachgekommen, und vom Aufsichtsratsvorsitz bei Schalke 04 zurückgetreten. – Clemens, mit Rücktritt war nicht Schalke gemeint! Es überrascht es nicht, dass er für den Profit über Leichen geht – vor allem über tierische, aber vor menschlichen scheint er auch keinen Halt zu machen.
Nicht nur die Tiere leiden
Vielen Tierrechtsaktivisti wird vorgehalten, sie würden sich „nur“ um die Tiere kümmern, während es so vielen Menschen schlecht gehe. Nun – Überraschung – die Fleischindustrie steht hart in der Kritik. Und zwar gerade auch in der von Ethiker*innen, Gewerkschaften, Menschenrechtler*innen und nicht zuletzt Ärzt*innen.
Nach Angaben der Bundesregierung ist ungefähr die Hälfte der Arbeiter*innen in deutschen Schlachthöfen nicht aus Deutschland. Gut 80 Prozent der Beschäftigten sind über Subunternehmen beschäftigt, befristete Werkverträge machen die Arbeiter*innen so zu modernen Sklaven. Überstunden, harte Arbeitsbedingungen in den runtergekühlten Schlacht- und Zerlegungsgebäuden, ein erhöhtes Verletzungsrisiko, die Unterbringung in viel zu engen Sammelunterkünften und Unterbezahlung sind Alltag.
„Es war sehr kalt und feucht, die Fließbänder bewegten sich sehr schnell. Ich hörte Kollegen nachts weinen in der Unterkunft, weil sie so schlimme Schmerzen hatten, ihre Hände waren ganz geschwollen“, berichtet ein Arbeiter aus Rumänien, der nach zwei Jahren Tönnies verließ. Sein Freund hielt es nur einen Tag dort aus. Deutschland soll ein sozialer Rechtstaat sein, doch in der Fleischindustrie sind die Beschäftigten den Arbeitgebern ausgeliefert. „Wenn Kontrollen kamen, wurde die Geschwindigkeit des Fließbandes verlangsamt, dann war unsere Arbeit leichter. Aber man wusste ja vorher, dass eine Kontrolle kommt. Wieso macht man das nicht unangekündigt?“ – Ja, warum? Weil eine starke Lobby mal wieder mächtiger ist als dieser vermeintlich soziale Rechtsstaat.
Ganz abgesehen davon frage ich mich, wie eine Arbeit, die das Abschlachten und Auseinandernehmen von lebenden Wesen zum Gegenstand hat, überhaupt arbeiter*innenfreundlich sein kann, mit Menschen kompatibel sein kann, die nicht zuletzt ja auch (mit-)fühlende Wesen sind. Ich bezweifle, dass das möglich ist.
[Quelle: www.karriere-bei-toennies.de]
Pandemie Hotspot Massentierhaltung
Schweinegrippe, Vogelgrippe, SARS / COVID 19, bei diesen und vielen weiteren Infektionen sind die Ursprünge recht eindeutig. Massentierbetriebe sind der Nährboden schlechthin für neue Influenzavirus-Typen. Bei der rasanten Virenvermehrung beispielsweise in Schweinemastbetrieben kommt es zu Mutationen und so zur Entstehung von unterschiedlichen Virusmerkmalen. Dieser sogenannte Antigendrift sorgt für immer neue, unberechenbare Virustypen. So kam gerade diese Woche Warnung aus Peking.
Dort wurde ein Influenzastamm gefunden, der inzwischen alle entscheidenden Merkmale besitzen soll, die ihn zu einem Kandidaten für eine Influenza-Pandemie mache, sagen die chinesischen Forscher. Gefunden wurde der Schweinegrippen-Reassortant (also eine Mutation des Schweinegrippevirus) in den Schweinemastanlagen. Eine derartige Nachricht in dieser Zeit, in der wir noch immer mit COVID-19 kämpfen, ist ein Schlag ins Gesicht.
Das Seltsame ist, dass die Ursprünge von Seuchen recht eindeutig zu sein scheinen. Die Bekämpfung aber findet lediglich symptomatisch und nachträglich statt. In einem Artikel des Guardian wird ein Vergleich gezogen, der die Absurdität und Gefahr dieses Vorgehens unterstreicht. „Stell dir vor, unser Militär würde feststellen, dass fast jeder Terrorist der jüngeren Vergangenheit in demselben Trainingslager Zeit verbracht hatte, aber gleichzeitig keine Politiker*in eine Untersuchung eben dieses Trainingslagers fordern würde. […] Das ist unsere Situation, wenn es um Pandemien und Tierhaltung geht.“ Schreiben die Autoren Foer und Gross [von mir aus dem Englischen frei übersetzt]. Die Umstände sind klar, die Macht des Augenverschließens und der Agrarlobby auch.
Das Problem ist die Nutztierindustrie an sich
Ein Wort noch zu Julia Klöckner. Die deutsche Landwirtschaftsministerin schmückt sich derweil mit einem sogenannten Tierwohllabel. Allerdings ist sie es auch, die sich vehement dafür einsetzt, dass in einer vorgeschlagenen Gesetzesänderung der Teil wieder gestrichen wird, der festschreibt, dass Muttersauen sich zumindest ausstrecken dürfen. „Ich kenne kein einziges Rechtsgebiet, in dem so heuchlerisch vorgegangen wird wie im Tierschutzrecht“ fasst Steffen Augsberg aus dem Deutschen Ethikrat zusammen.
Mehr und mehr Journalist*innen gehen in aktuellen Artikeln der Frage nach, worin genau Tönnies-Fleisch enthalten ist, wie man es erkennen und vermeiden kann. Netter Versuch – aber ich möchte mal die nicht so steile These dagegen stellen, dass Corona-Fälle und generell problematische Bedingungen nicht exklusiv bei Tönnies auftreten. Diese Skandale und diese Kritik sind unweigerlich mit der Fleisch- und gesamten Tierindustrie verbunden. Ob jetzt Tönnies, Westfleisch oder Vion, sie alle sind Täter in einem System, das uns krank macht.
Die Lösung sind nicht bessere Bezahlung, bessere Hygiene oder höhere Fleischpreise. Die Lösung ist das Abschaffen dieser gesamten Industrie, die Menschen, Tieren und Umwelt schadet.
Und das sage ich, weil die Tiere Gerechtigkeit verdient haben. Genauso alle Arbeiter*innen, Konsument*innen, Bürger*innen, kommende Generationen, Menschen aus dem globalen Süden, und die Natur. Die Nutztierhaltung ist geprägt durch Symptombehandlung bei gleichzeitiger Ursachenleugnung at its best. Sie ist tödlich – für Mensch und Tier.
Regan Russells Kampf wird weitergeführt werden.