Anbaggern is nich!


Mitten in einem Dorf brechen wir nach links aus und verlassen die Demoroute. Wir haben eine Lücke gefunden, die die Polizei nicht versperrt

Anbaggern is nich – Als ich das Fronttransparent für die kommende Aktion das erste Mal in meiner WG sehen darf, schlägt mein Herz höher. In meinem Bauch breitet sich ein Gefühl von Vorfreude und ein bisschen Nervosität aus. Doch das bisschen Flattern im Magen soll kein Grund sein, nicht für eine Welt ohne Umweltzerstörung und Katastrophen zu kämpfen. In dem letzten Jahr Klimaaktivismus ist mir eines klar geworden: Die Politik ist viel zu langsam, um die Klimakatastrophe unter Kontrolle zu bringen. Wir müssen das selber in die Hand nehmen. Deswegen habe ich mich – trotz meiner Angst vor Polizeigewalt – dafür entschieden, mit den Anti Kohle Kidz in eine Aktion zu gehen, die durch zivilen Ungehorsam zeigt: Jetzt ist Schluss. Wenn die Politik unfähig ist, vernünftige Entscheidungen zu treffen, dann müssen wir den Kohleausstieg selbst in die Hand nehmen. Wir vom Druck!-Magazin waren dabei und berichten aus der Aktion.

Rucksack packen und los…

Unschlüssig stehe ich in meinem Zimmer. Was soll ich einpacken für eine solche Aktion? Wir werden in Zelten schlafen in einem größeren Camp bei Köln – so viel habe ich schon erfahren. Also ein Zelt, meine Isomatte und einen Schlafsack. Die Rettungsdecke darf auch nicht fehlen und ganz viele warme Klamotten. Ich gähne laut und reibe mir die Augen. Es ist 23 Uhr, morgen Mittag geht es los im Aktionsbus. Davor findest die Fridays for Future Demo statt – ich bin ziemlich aufgeregt. Haben wir an alles gedacht? Haben wir wirklich Strom für die Bühnentechnik? –  Ganz normale Gedanken für einen jungen Menschen mitten in der Nacht  – oder etwa nicht? Ich öffne einen Telegram-Chat:

‚Was packst du für die Aktion ein?‘  tippe ich in mein Smartphone.

Schnell kommt die Antwort von meinem Aktionsbuddy Ruby: ‚Snacks für die Blockade, Wanderschuhe, Regenhose und Regenjacke, eine Flasche zum Augen auswaschen bei Tränengas und einen richtig guten Mund-Nasen-Schutz.

Uff, ja an Tränengas habe ich noch gar nicht gedacht. Aber wenn ich damit etwas gegen diese Klimakrise tun kann anstelle machtlos zuhause zu sitzen, nehme ich das in kauf.

Als ich endlich todmüde in mein Bett krieche steht der Rucksack fertig gepackt neben der Tür und der Wecker ist gestellt. Trotzdem kontrolliere ich noch zwei Mal, ob ich wirklich die richtige Uhrzeit eingestellt habe – ich will auf keinen Fall verschlafen.

Von der Demo in die Aktion

Die Bühne und die Technik sind aufgebaut. Langsam füllt sich der Platz. Von allen Seiten strömen Kinder, Familien, Studierende und Erwachsene mit großen Plakaten, Fahnen und bunten Regenschirmen auf die Wiese. Von hier geht der Demozug einmal durch die Innenstadt. Laute Rufe füllen die Straßen, Banner flattern im Wind. Wir sind wieder da, noch kämpferischer als zuvor.

Als die letzten Rufe verhallt sind und der Platz sich wieder leert, hieven wir die schweren Rucksäcke auf unsere Rücken und setzen uns in den Bus nach Köln. Wir sind aufgeregt.

Als wir dann endlich mitten in der Nacht etwas außerhalb von Köln aus dem Bus steigen, nieselt es. Wir werden von Luca und Pink, zwei Menschen aus unserer Bezugsgruppe, begrüßt. Von einigen großen Polizeiautos begleitet laufen wir ins Camp. Was die Polizei von uns will wissen wir nicht. Vielleicht wollen die uns einfach nur zeigen, dass wir beobachtet werden. LOL…

Nachdem wir uns mit der Corona-ID angemeldet und eine Einweisung bekommen haben, bauen wir die Zelte auf. Zum Glück regnet es gerade nicht. Es ist drei Uhr morgens, als wir endlich ins Zelt kriechen. Der erste Finger geht um diese Uhrzeit schon los in Richtung Kohlegrube. Überall raschelt es, Menschen in weißen Ende Gelände-Anzügen laufen herum und sammeln sich. Trotz der aufgeregten Atmosphäre fallen mir vor Müdigkeit die Augen zu.

Die Anti Kohle Kidz in Aktion

‚Billie, Ruby wacht jetzt auf!‘ Robbie rüttelt am Zelt. Unwillig öffne ich meine Augen – es ist kurz vor Acht und wir müssen noch frühstücken und packen. Schnell ziehen wir uns an. Es ist ganz schön kalt. Also drei Hosen und zwei Pullis. Im Regen laufen wir zum Essenszelt wo es Brot und selbstgemachte, vegane Aufstriche gibt. Stehend – es regnet immernoch – essen wir unsere Brote und packen ein paar Stullen für den Tag ein. Dann versammeln wir uns auch schon. Bepackt mit Rucksäcken reihen wir uns in den AKK (Anti Kohle Kidz) Finger ein, direkt hinter dem Frontbanner mit der Aufschrift: Anbaggern is nich. Nach einigen Durchsagen mit dem Megafon geht es auch schon los.

Wir laufen zur Bahn, hinter und um uns Polizei. Als wir im Bahnhof ankommen, fallen leider die Züge aus – polizeiliche Ermittlungen. Davon lassen wir uns nicht unterkriegen und laufen direkt zur nächsten Haltestelle. Als wir endlich in der Bahn sitzen, rennen einige Polizistis den Bahnsteig entlang und halten den Zug an. Wir sitzen so eine ganze Stunde im Bahnhof fest. Um die Zeit zu nutzen, zerstechen wir in der Bezugsgruppe mit dem Namen „Ich fass es nicht“ unsere Fingerkuppen und verkleben sie mit Glitzer und Sekundenkleber. Unsere Fingerabdrücke sind jetzt unbrauchbar – falls wir also festgenommen werden sollten, können wir nicht identifiziert werden.

Adrenalinmoment

Dann geht es doch weiter. Wir sind endlich in Hochneukirch, ganz in der Nähe der Kohlegrube. In einem Demozug wollen wir direkt an der Grube entlang laufen und den Ort der Zerstörung – die Grube – betrachten. Wann wir dann in die Aktion gehen und den Demozug verlassen weiß niemand. Aber daraus wird nichts!

Die Polizei ist wohl misstrauisch geworden, die Demoroute wurde umgelegt und wir müssen einen Umweg von 6 Kilometern laufen. Trotz langer Verhandlungen ist daran nicht zu rütteln. Also laufen wir – innerlich voller Spannung, wann es wohl losgeht – den langen Weg. Ich bin schon ziemlich müde, als ich von meiner Bezugsgruppe erfahre: Bereit halten!

Mitten in einem Dorf brechen wir nach links aus und verlassen die Demoroute. Wir haben eine Lücke gefunden, die die Polizei nicht versperrt hatte. Mein Herz klopft, als wir losrennen. Bunter Rauch ist zu sehen, ich halte das Banner hoch, vorne am Weg kommen die ersten Wannen (große Polizeiautos) an. Wir sind schon ziemlich außer Atem, als mein Buddy Ruby keucht: ‚Mein Schuh ist offen‘.

Wir gehen ein wenig zur Seite, wo Ruby hektisch, mit zitternden Händen die Schnürsenkel bindet. Dann rennen wir weiter über den Acker. Erdbollen kleben unter meinen Schuhen und es ist wirklich anstrengend. Aber das Adrenalin, das durch meinen Körper pumpt, lässt mich weiterrennen. Auf den Straßen sammeln sich immer mehr Wannen. Polizisti in schwarzen Uniformen und Helmen springen aus den Autos und rennen auf uns zu. Wir erreichen die Straße, kurz vorm Grubenrand. Unter lautem Gebrüll, mit gezückten Schlagstöcken (bei der Polizei werden die ‚Mehrzweckstock‘ genannt, wie verharmlosend…) werden wir von großen Polizisti zurückgeschubst. Mir wird plötzlich wieder klar, dass ich eine Frau bin. Zwar bin ich nicht klein, habe aber keine breiten Schultern.

Ich bin wirklich wütend. Hier sind Kinder, und die Beamten (es sind nur männlich gelesene Menschen) brüllen herum und schubsen uns brutal. Wir halten zusammen, bilden einen Kreis, wo die Menschen, die Angst haben nach innen gehen können. Die Polizei kesselt uns ein – das heißt: die Männer stehen in einem Kreis um uns herum, sodass wir uns nicht von der Stelle bewegen können – und schubst uns dabei immer näher zusammen. Die Idee des Abstandhaltens wegen Corona scheinen sie nicht verstanden zu haben. Als wir einem der Polizisten (männlich gelesen) erklären, dass wir zwar FFP2-Masken tragen, aber doch gerne die Abstände einhalten würden, brüllt er nur: ‚Halt die Fresse!‘

Die Polizei ist schlecht erzogen!

Die Polizisti ziehen den Kessel noch enger.

‚Mach noch einen Schritt und ich schubs dich!‘ brüllt einer neben mir.

Dabei ballt er die Hände in schwarzen Handschuhen zu Fäusten und hebt sie drohend in mein Blickfeld. Was mir zu Beginn Angst eingejagt hat, macht mich jetzt nur wütend. Wie können die sich so aggresiv verhalten, wenn hier Kinder sind? Wir sind in der Aktion, um auch für die Kinder der Polizisti eine Zukunft zu erkämpfen. Ein rauhes Lachen steigt in meiner Kehle auf bei dem Gedanken, dass meine Eltern mit den Steuern die Gehälter der Polizisti finanziert, die ihre Tochter jetzt anbrüllt und herumschubst.

Als wir dann nach ein paar Verhandlungen mit der Polizei langsam und weiterhin eingekesselt das Rübenfeld, auf dem wir standen, verlassen dürfen sind wir alle total erschöpft und druchgefroren. Ein Kind hat geweint und wird jetzt begleitet von einigen Älteren. Ich bin froh, dass wir nicht in die Gesa (Gefangenensammelstelle) gebracht werden.

Mit lauter Musik und in Begleitung von etwa 30 (!) Wannen laufen wir den ganzen Weg nach Hochneukirch. Überall in den Fenstern stehen Menschen, die uns freudig zuwinken. Wir sind total euphorisch und erschöpft. Ein Tag lang so intensiv gegen die Klimakrise zu kämpfen macht müde. Nach 15 Stunden und mindestens 20 Kilometern Laufweg kommen wir unter lautem Gejohle und Applaus im Camp an. Es gibt es endlich ein warmes Essen für alle.

Eingehüllt in Rettungsdecken sitze ich mit meiner Bezugsgruppe im großen Zirkuszelt am Eingang des Camps. Wir reden darüber, wie es uns jetzt nach der Aktion geht, während wir warmes Chilli sin Carne löffeln. Meine Augen fallen langsam zu, als ich die Zähne putze. Schnell krieche ich ins Zelt und kuschle mich zusammen mit Ruby in die warmen Schlafsäcke. Auf einer Müdigkeitsskala von 1bis 10 bin ich definitiv bei einer satten 9.

Jetzt bist du an der Reihe:

Wenn du auch Lust bekommen hast, bei Aktionen mit zivilem Ungehorsam dabei zu sein kannst du dich auf der Website von Ende Gelände, oder den Anti Kohle Kidz informieren. Du kannst die Gruppen aber auch über Spenden unterstützen!

Das würde ihnen sehr helfen, weiter den Kohleausstieg selbst in die Hand zu nehmen.