Von Überlastung im Aktivismus Herzklopfen, schneller Atem, müde Augen, manchmal ein Rauschen in den Ohren. Es ist mal wieder so weit. Das…
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Herzklopfen, schneller Atem, müde Augen, manchmal ein Rauschen in den Ohren. Es ist mal wieder so weit.
Das sind nicht Verliebtheitssymptome sondern Überlastung. Überforderung. Stress.
Es sind diese Tage, an denen die To-Do-Liste so lang ist, dass ich gar nicht anfangen kann. Diese Tage in denen ein gefühlter Notfall in den nächsten übergeht und am Ende der Tag um ist und ich habe wieder nicht genug geschafft. Denke ich zumindest.
Es sind diese Tage, an denen ich mich frage, wie viele Lebenskrisen ich noch brauche um etwas richtig zu verändern. Oder um zu lernen Nein zu sagen. Oder warum die Welt mich zwingt Aktivistin zu sein, wo ich doch gleichzeitig auch Freundin, Enkelin, Tochter, Studentin, Künstlerin, Sportlerin, Mensch sein will.
Als wir von Fridays for Future Stuttgart im letzten Jahr nach dem vierten Globalen Klimastreik Ende November nach 53 gestreikten Freitagen eine Pause einlegten, schickten wir eine Pressemitteilung raus. „Doch ein Jahr Vollzeitaktivismus, wöchentliche Streiks und vier globale Aktionstage fordern ihren Tribut.“ Heißt es darin. Außerdem: „Viele von uns sind –wie unser Planet- kurz vor dem Ausbrennen und brauchen dringend nachhaltige Strukturen und Zeit neue Energie zu tanken.“
Ein paar Tage später, mein Handy klingelt. Es ist –nennen wir ihn Werner vom Südwestrundfunk. Seine Kolleginnen haben mich schon interviewt, aber er möchte sich noch mitteilen. Er fände das ja schon etwas übertrieben, so ernst könne es doch nicht sein. Sagt er mir. Ich halte mein Handy am Ohr und weiß nicht, was ich sagen soll. Schaue in die Ferne und nehme einen erschöpften Atemzug. Äh doch? Doch Werner. So ernst kann es sein und so ernst ist es. Denke ich und erwidere irgendetwas Sinngemäßes, aber in dem kämpferischen Ton, den ich mir in der Öffentlichkeit angewöhnt habe.
Ich bin so müde davon. Müde von der Aktivismus-Überforderung und von alten weißen Männern, die es besser wissen. Sogar das noch besser wissen! Besser wissen, wie es uns geht, während wir gegen Entscheidungen kämpfen, die vor allem sie getroffen haben.
Grenzen und darüber hinaus
Menschen in meinem Umfeld berichten immer wieder wie sie gerade durch ihre politische Arbeit immer wieder an ihre Grenzen kommen. – Oder darüber hinaus gehen.
Es gehört fast schon zum aktivistischen Alltag dazu.
Dieses Phänomen ist wenig bekannt, aber intern weit verbreitet. Das könnte man wohl als Professionalität bezeichnen. Aber eigentlich finde ich es schade. Die Tabuisierung von diesen emotionalen Herausforderungen macht auch die Betroffenen oft unsichtbar, ihre Probleme unwichtig.
Bianca ist Fridays for Future Aktivistin und auch sonst viel in links-politischen Kontexten unterwegs. Sie hat mir ihre Geschichte erzählt. Nach ihrer ersten Politisierungserfahrung, einem Vortrag über die Revolution in Rojava, taucht sie tief in den Aktivismus ein. Das seltsame Doppelverhältnis zur politischen Arbeit formuliert sie so: „Es gibt da dieses Spannungsfeld: zwischen ‚wir müssen jetzt die Welt retten’ und der Überforderung, das alles zu wollen, es tatsächlich zu versuchen, und schlichtweg es nicht schaffen zu können.“
Ich erinnere mich an eine Zeit, als ich wieder einmal so am Limit war und auf therapie.de Selbsttests machte, um herauszufinden, ob ich Depression, Angstzustände oder Burn-out habe. Zu der Zeit waren alle Tests viel zu positiv (und so akkurat wie online Tests eben sein können).
Auch Bianca hat Ähnliches erlebt. Nur dass es ihr erst später wirklich klar wurde und sie sich erst kürzlich getraut hat, Hilfe wegen ihrer Depression zu suchen. Sie beschreibt verschiedene Phasen, die sie durchläuft und wie die Gedanken sich im Kreis drehen und hochschaukeln. „Dann Depression, in dieser Phase vielleicht am schlimmsten. Es ist ja nicht so, dass es einem immer schlecht geht. Ich war oft so euphorisch- egal ob ich gerade ein Punk Konzert oder eine fff Demo auf die Beine gestellt habe. Und auf der anderen Seite waren eben immer Gedanken wie: Was nützt das jetzt? Im System läuft so viel falsch -wieder Selbstzweifel- mit mir läuft so viel falsch, und mit der Welt. Und dann wieder das Gefühl von ‚Ich kann was bewegen‘ durch Aktivismus. Naja und das ist schnell eine Spirale.“
Hilfe holen
Gerade Reaktionen wie die von Werner, aber auch aus der aktivistischen Szene drängen psychischen Druck und psychische Krankheitsbilder in ein Hinterzimmer. Die Priorität liegt meist auf einer gelungenen Aktion und das Wohlbefinden der Aktvisti wird zurückgestellt.
Regenerative Strukturen und solche, die Menschen auffangen, sind ein Muss, wenn Aktivismus langfristig betrieben werden soll und die Aktivisti nicht daran kaputt gehen sollen. Inzwischen sind diese auch immer mehr vorhanden. So gibt es Angebote von Out of Action und den Psychologists for Future zur Unterstützung von Aktivistinnen und Aktivisten. Außerdem besteht die Möglichkeit an bestimmten Orten auf „Aktivisti-Retreat“ zu gehen oder sich am Konzept Nachhaltiger Aktivismus von Timo Luthmann zu orientieren.
Der Kapitalismus in uns
Wie weit wir ungesunde Strukturen und Ansprüche internalisiert haben, wird überraschend deutlich, wenn wir ein wenig tiefer schauen.
Kapitalistisch ist längst nicht mehr nur unser Wirtschaftssystem. Kapitalistisch sind auch unsere Ansprüche an unser Leben.
Auf die Frage Wie geht es dir? Bekomme ich oft die Antwort: Gut, habe heute viel geschafft. Oder: Nicht so, habe heute einfach nichts gemacht.
Produktivität ist scheinbar Maßstab dafür, wie es uns geht. Oder wie „gut“ wir sind, wie wertvoll.
Kapitalistische Werte – Leistung, Effizienz, Fortschritt – sind in unserer Gesellschaft als gut und erstrebenswert verankert, auch in unserem Privatleben.
Und –paradoxerweise? – besonders im Aktivismus.
Ich verdamme mich oft für diese kapitalistischen Ansprüche, die ich an mich und andere habe. Denn ja, ich habe sie. Ich will Aufgaben erledigen, produktiv sein, möglichst viel schaffen in möglichst wenig Zeit. Ich setze mich unter Druck. Ich mache noch viel zu oft meinen Wert an meinem Output fest.
Wobei genau das eigentlich nicht die Basis ist, die ich mir für mein Leben und unser Zusammenleben auf der Erde vorstelle. Denn das sind ja genau die zwanghaften Werte eines Systems, gegen das ich kämpfe.
– Und gleichzeitig schreit da eine Stimme in mir, dass wir leider effektiv und schnell und leistungsstark sein müssen, wenn wir gegen aktuelle Ungerechtigkeiten kämpfen und die nahende Klimakrise aufhalten wollen. Diese Arbeit ist schwer und wird das auch immer irgendwo sein. Aber sie ist notwendig. Weil ja, wir sind müde. Aber eben nicht lebensmüde. Und es geht nun mal um existenzielle Herausforderungen.
Es ist okay
Ich habe noch nicht wirklich eine Balance gefunden. Ich pendele zwischen Hochs und Tiefs und gutem Aktivismus und Selbstausbeutung. Aber die Pendelschläge sind etwas kleiner geworden, die Tiefs weniger tief. Und ich glaube, diese Schwankungen wird es immer geben. Und auch die Unvereinbarkeit davon wirklich alles in der politischen Arbeit zu geben und gleichzeitig auch noch Mensch zu sein und Spaß zu haben, leben zu dürfen.
Das muss okay so sein. Und auf dem Weg gilt es, dass wir uns gegenseitig unterstützen, unsere Probleme ernst nehmen, Resilienzstrategien entwickeln. Dass wir Menschen wie Werner erklären, was es für uns bedeutet, in dieser Welt so zu leben, und uns Hilfe holen. Dass wir uns trauen, unsere Kapitalistin im Kopf zu identifizieren, sie leiser werden lassen und unsere Gesundheit wirklich ernst zu nehmen.
So. Ich gehe jetzt Pause machen.