Die Männer haben nichts zu verlieren als ihre Männlichkeit


Männlichkeit ist das Privileg, nicht reflektieren zu müssen, was Männlichkeit ist. Aber was ist, wenn man doch anfängt darüber nachzudenken?

Die stereotypischen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit werden auch heute noch ohne Zweifel propagiert, Kindern anerzogen und überall reproduziert.  

Und ich hasse es.

Gender Studies Professorin Villa Braslavsky schreibt dem stereotypisch männlichen folgende Eigenschaften zu: Familienernährer sein, stark und unverwundbar sein. „Wehwehchen hat ‘Mann‘ nicht.“ Es geht darum, sich zu beweisen, besser als andere und am allerwichtigsten: so nicht-weiblich als möglich zu sein.  

Wikipedia definiert Männlichkeit als „Summe der Eigenschaften, die für den Mann als charakteristisch gilt.“. (Körper-)Kraft, Mut, Risikobereitschaft, Aggression, Dominanz, Gefühlskälte und auch Verlässlichkeit und Rationalität zeichnen anscheinend Männlichkeit aus.  

Der Mann an sich ist also ein zutiefst kapitalistisches Erfolgstier, das kein Mitgefühl mit seinem Umfeld hat und wenn doch, dann nur für den beruflichen oder sexuellen „Erfolg“. Jeder Schritt ist zum eigenen Vorteil geplant und jeder Rückschlag ist der Sieg eines Anderen. Schwäche, Zurückhaltung, Empathie und Rücksicht halten einen nur auf – und außerdem ist man dann eine Memme oder feminin. Und feminin darf ein Mann auf keinen Fall sein.  

Das würde ja die natürliche Ordnung stören und wäre „voll schwul“. Denn Frauen sind natürlich die Schwächeren, sie sind die von Natur aus unterwürfigen Gegenpole zu Männern. Frauen sind für Einfühlsamkeit da, für das Aufpassen auf die Kinder und die Friedfertigkeit, Männer hingegen für Karriere, Geld, Erfolg.  

Vor allem als Jugendlicher, aber auch davor und danach wird man in Erwartungen und Rollenbilder gezwungen, die sehr oft nicht nur dem Umfeld, sondern auch männlich gelesenen Menschen selbst schaden und deren Selbstverwirklichung verhindern. Obwohl ich das riesige Glück hatte, Eltern zu haben, die keinen großen Wert auf diese Stereotype legen, habe ich vom Rest der Gesellschaft all diese Verhaltensmuster und Erwartungen antrainiert bekommen.

Ich will nicht aggressiv sein, nicht dominant, will mich nicht über meine Körperkraft definieren. Vor allem aber will ich nicht gefühlskalt sein und ja, wenn ich ganz tief in mich gehe, kann ich sagen: Ich habe ich kein Problem damit, als feminin oder weiblich bezeichnet zu werden. Wenn ich ganz ganz ehrlich bin, freut es mich sogar.

Sogar wenn es als Spott gemeint ist, freut es mich. Schon während der Schulzeit wurde gesagt, meine erste Freundin sei „der Mann in der Beziehung“ und ich wurde oft gefragt, ob ich denn schwul sei. Und jedes Mal, auch wenn es ein negativ gemeinter Kommentar war, war es für mich Bestätigung, wenn nicht sogar Lob. Woran andere Menschen das festmachten, kann ich nur vermuten. Vielleicht fing es schon damit an, dass ich fast immer mit überkreuzten Beinen sitze, gerne Fantasybücher gelesen habe und grundsätzlicher eher ein uncooler Öko-Softie bin. Kommt es daher, dass mir „nicht männliche“ Menschen meist wesentlich sympathischer sind oder doch eher, weil ich gerne kreativ arbeite und schreibe? Meine langen Haare tragen bestimmt auch ihren Teil dazu bei.

Big Data scheint auch nicht genau zu wissen, was es mit mir anstellen soll. Nicht selten bekomme ich auf Instagram Werbung für Damenkleidung, Menstruationsunterwäsche und verwandte Produkte.

Und sind die stereotypisch weiblichen Eigenschaften nicht viel erstrebenswerter als die „männlichen“? Wäre die Welt nicht ein besserer Ort, wenn wir weniger auf Konkurrenz und Dominanz und mehr auf Empathie und Rücksichtnahme getrimmt wären?

Aber will ich meine Identität und meinen Selbstwert wirklich an diesen heteronormativen Faktoren und Kategorien männlich und weiblich und den dazugehörigen Stereotypen bewerten? Reproduziere ich dadurch, dass ich mich als relativ feminin für einen „Mann“ bezeichne, nicht auch dieselben Strukturen, die männlich gelesene Personen einsperren?

In Texten zum Thema wird oft von „moderner Männlichkeit“ oder dem „Mann von heute“ gesprochen. Es wird gesagt, dass es ein neues Männlichkeitsbild braucht und dass jede*r ein eigenes Bild von Männlichkeit haben soll, das den eigenen Überzeugungen entspricht. Ich bin mit dabei aber nicht so sicher. Was macht diese eigenen Form der Männlichkeit dann männlich? Was grenzt diese neue Art der Männlichkeit von anderen Geschlechtsidentitäten ab außer all der negativen Assoziationen, die mit Männlichkeit verbunden sind? Was bleibt übrig außer all dem Leid, das durch Männlichkeit entsteht? Für mich ist der Begriff „männlich“ mit so viel Negativität behaftet, dass ich mir schwer vorstellen kann, diesen in positiver Weise zu verwenden.

Ich verbinde Männlichkeit mit Konkurrenz, Überheblichkeit und Unterdrückung. Männlichkeit ist, finde ich, Teil der meisten Probleme die wir auf der Welt haben. Männlichkeit als Konzept, als Wort mit den damit verbundenen Implikationen, kann und will ich nicht ändern.

Ich will es abschaffen.

Aber was bin ich dann? Ich will das allermeiste „Männliche“ nicht sein, wurde aber so sozialisiert. Ich will nicht die Stereotypen über den männlichen Körper reproduzieren, freue mich aber doch, wenn ich Komplimente für mein Aussehen bekomme und fühle mich auch – weitestgehend – wohl in meinem Körper. Und Eigenschaften wie Verlässlichkeit und Rationalität finde ich ja eigentlich auch super. Habe ich als Mensch, der als weißer, heterosexueller (so weit ich weiß), Cis[1]-Mann in unserer Gesellschaft absolut Privilegiert ist, überhaupt das recht, mich zu beschweren? Bin ich „nicht-männlich“ genug?

Und da ist es wieder. Ich frage mich, wie ich in die schon bestehenden, heteronormativen Bilder reinpasse oder zumindest in welcher Relation ich zu diesen stehe. Aber wie soll ich mich denn jetzt bezeichnen? Label sind zwar scheiße und sperren ein, aber helfen uns auch dabei, Dinge besser einordnen zu können. Gar kein Label würde mich unsichtbar machen, ich wäre dann halt der feminine Mann. Und Ich weder Männlichkeit noch heteronormative Strukturen reproduzieren, denn alles was von Männlichkeit als Alleinstellungsmerkmal übrig bleibt, ist Unterdrückung.

Vielleicht kann ich zum jetzigen Zeitpunkt einfach noch nicht sagen, wer ich bin. Meine Gedanken dazu werden sich wahrscheinlich immer wieder ändern. Ich werde aber weiter auf der Suche sein nach Antworten außerhalb von Mann und Frau. Wie wäre es zum Beispiel mit Non-Binär?

[1] Cis: Das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht stimmt mit der Geschlechtsidentität überein