Ein Gegenentwurf zur Leistungsgesellschaft


Verlernen und neu lernen, um mit der Klimakrise umzugehen, das bedeutet Jung-Sein 2020, sagt der Autor von „Ökoterroristin“. Und: Wann kommt Teil zwei? Ein Interview übers Aktiv-Sein.


Ronan Winter, ist Erlebnis- und Wildnispädagoge in seinen Zwanzigern. Er lebt in Freiburg und hat „Ökoterroristin“ geschrieben. Begonnen hat er mit dem Projekt im Januar 2017 und seit Februar diesen Jahres ist das Buch erhältlich. „Ökoterroristin“ ist nicht einfach ein weiteres Jugendbuch, sondern ein aktivistisches Projekt durch und durch und vor allem: Ziemlich einmalig. Es gibt kaum (moderne) linke Fiktion und schon gar nicht für Jugendliche. Ich habe mit Ronan Winter über sein Buch, über Wut und die Frage „Kleingruppe oder Massenbewegung?“ gesprochen.

Druck!-Magazin: Ronan, du hast ein Buch über Aktivismus geschrieben – was ist Aktivismus?

Ronan Winter: Schwierige Frage. Ich glaube, das ist alles, was dazu dient,  Gleichbereichtigung und allgemeines Wohlbefinden zu steigern. Und wie das konkret aussieht, ist sehr divers. Aktivismus muss nicht sein, sich auf nen Bagger zu setzen oder an Schienen zu ketten. Das kann auch eine Garten-Co-op* sein, die durch ihre Selbstorganisation ihr Umfeld bereichert. Also, es kommt immer aufs Ziel an, weniger auf die Aktionsform.

*Einschub: Was ist eine Garten-Co-Op? Man sagt auch: solidarische Landwirtschaft. Beispielsweise kann das so funktionieren, dass man eine Mitgliedschaft zu einem je nach Einkommen variierenden Geldbetrag abschließen kann und in großen Plena entschieden wird, was angebaut oder angeschafft werden soll. Alle Mitglieder sind außerdem angehalten, ein paar Mal im Jahr am Wochenende auf dem Feld mitzuarbeiten und so zu lernen, wo das Gemüse herkommt, dass sie jede Woche in einer Abo-Kiste bekommen.

Kannst du uns kurz erzählen, worum es bei „Ökoterroristin“ geht?

Oberflächlich oder tiefgründig?

Beides, gern.

Oberflächlich geht es genau um das, was im Klappentext steht: Es geht um Mika, die siebzehn ist und in Freiburg lebt. Sie wird dann politisch aktiv, weil ein Energiekonzern in der Nähe der Stadt anfängt, nach Schiefergas zu bohren. Gemeinsam mit ihren Freund*innen beginnt sie dann, ganz verschiedene Aktionen gegen den Konzern zu machen.

Und tiefgründig?

Ich hab „Ökoterroristin“ so geschrieben, wie ich es mit sechzehn hätte lesen sollen. Ich habe mich gefragt: Wenn ich jetzt nochmal sechzehn wäre, welches Buch würde ich für mich schreiben? Und dann ist dieses Jugendbuch entstanden, das ein Werkzeug sein soll, um aus der Verzweiflung und Hilflosigkeit, die viele fühlen, rauszukommen. Denn viele sehen all die Probleme – und denken aber, dass sie allein nichts dagegen unternehemen können. Darum soll mein Buch vor allem denen helfen, die in ihrem sozialen Umfeld ganz allein mit diesen Sorgen sind.

Beim Druck!-Magazin stellen wir uns im Kern eine Frage: Was bedeutet es, in diesen Zeiten jung zu sein – mit der Klimakrise im Nacken und der gesellschaftlichen Verantwortung, die wir als priviligierte Menschen haben. Was würdest du sagen, was „Jung-Sein“ heute heißt?

Da hat sich so vieles verändert. Als ich klein war, war die Klimakrise zum Beispiel noch kein Thema. Da war dann 9/11 so ein Ereignis, das viele politisch sicherlich geprägt hat. Bei mir war es dann so, dass ich über Greenpeace einiges über den Klimawandel mitbekommen habe und auch darüber, wie Menschen versuchen, etwas dagegen zu tun. Aber im Gegensatz zu unserer Elterngeneration haben wir alle, die Millenials und die Gen Z, jetzt nicht mehr diese Freiheit, die sich äußert in: Welches Studium, welche Ausbildung mache ich, welches Auto kaufe ich mir und so weiter. Sondern: Stattdessen wachsen wir jetzt mit dem Gefühl auf, dass uns unsere Zukunft genommen wurde. Da ist schon viel Wut dabei. Auch bei mir selbst, wenn ich mir ansehe, was vorige Generationen mit dem Planeten gemacht haben. Ich denke, im Kern läuft es darauf hinaus, dass ich so vieles verlernen muss, was mir beigebracht wurde, in der Schule und zu Hause. Denn das dient ja letztlich nur dem Fortbestehen des Kapitalismus und der ist eben gerade die Ursache der Klimakrise – ich muss verlernen, um eine Zukunft zu haben. Deshalb muss ich natürlich auch Dinge neu lernen und klar, die Zeit und die Ressourcen dazu zu haben, das ist auch ein Privileg.

In deinem Buch geht es immer wieder um das gute Leben für alle und um das richtige Leben im Falschen. Inwiefern ist „Ökoterroristin“ ein Gegenentwurf zur Standard-Jugendliteratur und den jungen Leben, wie sie darin erzählt werden?

„Ökoterroristin“ ist auf jeden Fall ein Gegenentwurf zur Leistungsgesellschaft. Allein Mikas Entscheidungen, die sie sich traut, zu treffen – manches davon hätte ich in ihrem Alter auch gern so gemacht, hatte aber nicht den Mut. Im zweiten Teil, „Krawalltouristin“, an dem ich gerade arbeite, wird es darum noch viel mehr gehen. Und dann ist es auch insofern ein Ausprobieren für das gute Leben für alle, als ich versuche, meinen eigenen Lebensentwurf zu verarbeiten. Dafür fehlen, am Rande bemerkt, in linken Räumen nämlich echt die Strukturen, finde ich. Wir haben im Kreieren, im Schreiben so viel Freiheit, die wir nutzen können, um noch viel mehr ausprobieren, als wir in der Realität tun.

Kannst du ein bisschen was über den Prozess bis hin zum fertigen Buch erzählen? Inwiefern war auch der ein Gegenentwurf?

Ich habe „Ökoterrerostin“ selbst veröffentlicht. Aber das war eigentlich nicht der Plan: Ich hatte es an über dreißig Jugendbuchverlage und linke Verlage geschickt, die es alle nicht drucken wollten oder gar nicht geantwortet haben. Also habe ich dann ein Crowdfunding gestartet für den Druck und auch sonst alles selbst gemacht, vom Cover über den Buchsatz [das ist die Formatierung des Textes, Anm. d. Autorin] bis hin zu den Illustrationen, das war ganz schön viel Arbeit. Aber toll daran war, dass ich so viele Freiheiten hatte, die ich sonst vermutlich nicht gehabt hätte. Zum Beispiel beim Titel, den sicherlich viele konventionelle Verläge zu abschreckend gefunden hätten. Oder bei den Sexszenen, die ich jetzt drin lassen konnte. Die waren mir besonders wichtig, weil: Jugendliche haben Sex. Da brauchen sie einfach Darstellungen, wie das laufen kann, ohne dass Grenzen überschritten werden. Außerdem konnte ich so das E-Book auch kostenlos zum Download zur Verfügung stellen, eine Idee, die ich aus der Geschenkökonomie habe. Wenn jetzt jemand kein Geld hat, aber das Buch gern lesen möchte, kann er oder sie das und es ist kein Stress. Wenn alle das so machen würden, bräuchten wir gar kein Geld.

Gibt es eigentlich sowas wie eine Community von linken Jugendbuchautor*innen?

Nein, überhaupt nicht. Wie gesagt, die linken Verlage wollten das Buch auch nicht drucken. Die haben alle gesagt, sie verlegen keine Jugendbücher beziehungsweise nur Sachbücher.

Gab es dann irgendwelche literarischen Vorbilder für dein Buch?

Ein großes Vorbild war der kanadische Autor Cory Doctorow. Von ihm habe ich „Little Brother“ gelesen, das ist voll genial. Es geht darin um eine Gruppe Jugendlicher, die sich gegen ein immer schlimmer werdendes Überwachungsregime in San Francisco organisieren. Als ich das las, dachte ich: Das brauchen wir auch fürs Klima. Ich denke, ohne „Little Brother“ hätte es „Ökoterroristin“ nicht gegeben.

Meine Mutter meinte mal zu mir, wir FFF-Kids seien quasi „Dumbledores Army“  – alle mit Harry Potter aufgewachsen und jetzt kämpfen wir gemeinsam für eine gute Zukunft. Was hälst du von diesem Vergleich?

Ja, also da gibt es einige Reihen neben Harry Potter, die ich da auch nennen würde: Star Wars, Herr der Ringe, Artemis Fowl und Hunger Games, das ja auch super kapitalismuskritisch ist. Ich denke schon, dass unsere Generation unglaublich viele kulturelle Werke hat, die mit Helden spielen und diesen Mythos um sie herum aufbauen. Es geht immer um einen Menschen, der irgendwie benachteiligt ist und sich aber trotzdem gegen Ungerechtigkeiten auflehnt. Ja, kann schon sein, dass das einen Einfluss auf uns hatte und auf die Kämpfe, die wir jetzt führen.

Ein weiteres großes Thema in deinem Buch ist Anarchismus. Was willst du erreichen mit „Ökoterroristin“: Willst du bilden, mobilisieren, radikalisieren?

(lacht)

Also das Wichtigste war mir, darzustellen, dass es eine Alternative zum Kapitalismus gibt. Ich finde, der Anarchismus ist ein wunderbarer Gegenpol dazu, der es schafft, in den allerkleinsten Nischen lebendig zu sein. Es gibt einfach so wenige Medien, die erklären, was Anarchismus eigentlich ist und so das Stigma um den Begriff herum abbauen. Das lernt man ja auch nicht im Schulunterricht, auch wenn es vielleicht ein paar Lehrer*innen geben mag, die das mal erwähnen. Und das, obwohl das Abbauen von Herrschaft wirklich allen gut tut – man muss keine überzeugte Anarchistin sein, um dem zuzustimmen. Gerade in Verbindung mit dem Thema Klimakrise ist Anarchismus so voller Lösungsansätze. Das wollte ich zeigen.

Mika ist Anarchistin, hat aber einen sehr pragmatischen Umgang mit dem Thema Kampagnen. Zum Beispiel gibt es eine Szene, in der sie auf einer Demo über eine Rednerin den Kopf schüttelt, die von „Klassenkampf“ und „Repression“ redet. Mika findet: Man muss so sprechen, dass alle einen verstehen können. Ist das auch deine Sicht?

Na ja, also das ist erstmal nur Mikas Sicht. Sie findet die Wortwahl und das Verhalten der Rednerin unschlau – aber ich finde das gar nicht so einfach. Wenn ich zum Beispiel an den Hambi 2018 denke: Zu dem Zeitpunkt, als die Großdemo im und um den Wald statt fand, waren Menschen dort in der Besetzung, die schon sehr lang dort lebten und einen gemeinsamen Wertekonsens hatten. Durch den Medienhype kamen dann viele Menschen dazu und für die gab es nicht die Zeit, dass diese sich damit hätten auseinandersetzen können, was dort schon bestand. Gerade Parteipolitiker*innen, die auf der Demo waren, haben das auch einfach nicht ernst genommen. Dadurch wurde der Spirit, den es davor im Hambi gab verwässert. Dahinter steckt eine Frage, die man sich schon mal genauer anschauen sollte: Wenn man eine politische Utopie hat, macht es dann mehr Sinn, viele Menschen mit einer einfachen Message zu erreichen oder wenige Menschen tiefgründig mitzunehmen?

Kleingruppe oder Massenbewegung also?

Ja, quasi – aber das kann im zweiten Buch ausdiskutiert werden. Um noch kurz was hinzuzufügen: Ich denke, gerade für Leute, die erst einsteigen, kann eine Massenaktion schon wirklich gut sein. Dort sind sie ein Stück weit getragen von Menschen, die schon Erfahrung haben.

Super cool, danke dir für das spannende Gespräch! Wann können wir mit dem zweiten Buch rechnen?

Also drei Kapitel hab ich schon geschrieben, die Handlung ist geplant – vielleicht nächstes Jahr, mal sehen.

Hab ich was Wichtiges vergessen?

Ja! Am 22. August ist eine Lesung von mir in Trier, um 18 Uhr im Palastgarten.

Ronan Winter: Ökoterroristin. 500 Seiten, 21 Illustrationen, ab 14 Jahren. Ihr könnt es bestellen bei blackmosquito.org für 16 Euro oder das E-Book gratis herunterladen.