Die letzten drei Monate habe ich nur auf diesen einen Tag hingearbeitet und zwischenzeitlich fühlte es sich so an, als gebe es kein Danach.
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Globaler Klimastreik. Und dann?
Es ist Freitagmittag, als ich in der Bahn sitze und in meinem Kopf nochmal den ganzen Ablauf des Tages durchgehe. Zwischendrin beantworte ich letzte Nachrichten und ertappe mich dabei wie meine Gedanken immer wieder zu dem „was ist danach“ abschweifen. Während der siebte Globale Klimastreik unmittelbar bevorsteht und Menschen überall auf der Welt bereits demonstrieren oder den Tag vorbereiten, mache ich mir darüber Gedanken wie mein Wochenende aussehen wird. – Doch es ist notwendig, denn die letzten drei Monate habe ich nur auf diesen einen Tag hingearbeitet und zwischenzeitlich fühlte es sich so an, als gebe es kein Danach.
Übertreibt sie nicht ein bisschen? – Nein, das tue ich nicht. Spätestens seit ich diese wundersame Welt des Aktivismus entdeckt habe, spielen sich meine Gefühlslagen in unglaublich großen Extremen ab. Von dem krassen Stresslevel und einer hohen Arbeitsbereitschaft und Motivation, über die extremen Ängste bis hin zur Dankbarkeit und Freude. Und so war es auch dieses Mal. Während der Vorbereitungen für den Globalen Klimastreik war ich motiviert, frustriert und gestresst. Gleichzeitig war ich zu beschäftigt, um auch mal inne zu halten und den Gefühlen wirklich Raum zu geben. Und dann kam der Moment, als der Streik vorbei war und mit dem Stress und der Vorfreude verschwand auch der Sinn und es breitete sich eine große Unsicherheit und Leere in mir aus.
Diese Leere nach großen Aktionen ist ein weitverbreitetes Phänomen in Aktivistikreisen und, ich bin mir sicher, auch bei vielen anderen. Und weil ich mir dessen bewusst war, versuchte ich die Situation zu akzeptieren wie sie ist. Außerdem war ich mir sicher, dass diese Leere nicht von Dauer sein würde. Die darauffolgende Woche verbrachte ich mit Serienschauen, widmete mich dem Unterricht und den Hausaufgaben. Darüber hinaus machte ich nichts. Ich wollte weder mit jemandem reden noch irgendwas unternehmen, geschweige denn eine To Do Liste schreiben. Aber es war okay. Wirklich schlimm wurde es erst, als ich anfing über die Welt nachzudenken, Nachrichten zu lesen, Podcasts zu hören und zu versuchen die letzten Monate zu reflektieren bzw. zu überlegen, wie ich für mich weitermachen wollte. Ich bekam Panikattacken und fühlte mich zunehmend unwohler in meiner Haut.
Die Zeit der multiplen Krisen
Der Lockdown gab mir dann den Rest, denn während ich diesen nicht wirklich gespürte hatte, weil ich zu beschäftigt gewesen war in den letzten drei Monaten, machte er sich nun umso mehr bemerkbar. Das ganze Hin und Her mit den Regelungen, sowie die Frustration der Menschen, die leeren Straßen, die verzweifelten Blicke und die zwei bis fünf Haushalte, die sich im Park trafen (mehr oder weniger legal), all das kam mir auf einmal unglaublich absurd und fremdartig vor. Die Menschen schienen mir alle so nah und doch so fern und selbst als meine Therapeutin gegenüber von mir saß, hatte ich das Gefühl, als wäre sie ganz weit weg, das lag wohl an der Maske und der Vorsicht die sowohl sie als auch ich in all unseren Kontakten mit uns tragen. Die ständige Angst jemanden anzustecken oder angesteckt zu werden. Probleme über Probleme, in einer Welt die nicht ohnehin schon genug von ihnen hat.
Egal wo ich hingehe oder hinschaue, es ist allen anzusehen, die Verzweiflung, die Unsicherheit und auch das mangelnde Verständnis. Das Verständnis setzt da aus, wo der eigene Leidensdruck zu groß wird. Und dann ist da auch noch dieser Zwiespalt in dem Viele stecken, die Entscheidung zwischen dem was richtig und was falsch ist und dem, was dem Individuum und was der Gesellschaft guttut. Und während meine Wut und der Kampf gegen die globalen Ungerechtigkeiten mich nach draußen treiben und mich diese Wut innerlich förmlich zu zerreißen droht, habe ich morgens Angst davor aufzustehen, weil die Probleme unmittelbar da beginnen, wo meine Nasenspitze aufhört.
Die Klimakrise, die Pandemie und die Moral- bzw. Gesellschaftskrise in der wir stecken – die „multiplen Krisen“ wie wir sie nennen – sie sind der Grund für meine Panikattacken. Sie sind der Druck, der von außen gegen meine Haut drückt und mir die Luft zum Atmen nimmt. Die Angst vor dem Mann in der Bahn, der mir gefährlich nah kommt oder der seine Maske nicht trägt, die Angst vor den Menschen, denn sie könnten ja ansteckend sein, die Angst vor Gesprächen mit meinen Freund*innen, denn es könnten ja anstrengende Diskussionen folgen. Die Angst vor dem Wetterbericht, genauso wie die Angst vor neuen Beschränkungen oder den neuen Todeszahlen. All das ist gerade ein Teil von dem, was wir Alltag nennen. Hinzu kommt ein Rechtsstaat, der es uns schwer macht in ihn zu vertrauen, dass er gerecht handelt. Denn unmittelbar während ich an diesem Artikel schreibe , umkesseln Polizisti aus ganz Deutschland eine Gegendemo ein, während 15.000 Menschen ohne Masken, ohne Abstand und begleitet von entspannten Polizisti die Stuttgarter Straßen entlangspazierten und ihre Reichsflaggen wehen.
Die Fassung verlieren, oder mich selbst?
Jetzt kommt es mir alles so absurd vor, alles was ich in diesem Artikel geschrieben zuvor habe. Alles kommt mir so unglaublich unwichtig vor im Vergleich zu dem, was an diesem Tag auf Stuttgarter Straßen passiert. Während Kretschmann die Landtagswahlen benutzt, um seine Machtposition zu sichern, nutzen 15.000 Menschen ihre Demonstrations- und Meinungsfreiheit, um laut zu rufen, dass sie in einer Diktatur leben würden. Und während sich die Ereignisse auch hier, direkt vor meiner Haustüre, überschlagen, bleibe ich ratlos, fassungslos und mit vielen Fragezeichen in meinem Kopf zurück.
Und während die meisten von uns zu Hause sitzen und auf ein Wunder warten, ein Wunder, dass uns von einer der vielen multiplen Krisen befreit, haben wir die Lösung für all die anderen Krisen selber in der Hand. Es wird keinen Impfstoff geben gegen die Klimakrise, niemand kann den Rassismus, die Diskriminierung oder die psychischen Belastungen wegimpfen. Und es wäre vergeblich darauf zu warten, dass sich die Strukturen in denen wir leben von alleine ändern. „Another world is possible“ ist wohl einer der schönsten Demosprüche, den ich von Fridays for Future Demos kenne.
Wandel ist möglich und Wandel muss nicht schlecht sein. Soweit so gut, aber wie eine Freundin letztens zu mir sagte: „Wir reden alle über die Revolution und darüber, dass wir sie brauchen, aber wir sollten vielleicht anfangen zu überlegen wie wir sie starten und wie genau sie aussehen kann.“ Und sie hat Recht. Die Nachrichten überschlagen sich vor lauter negativen Entwicklungen, von Kipppunkten, über exponentiell steigende rote Ziffern über Protestbewegungen, die zusammen mit Nazis für eine Demokratie protestieren gehen. Worüber die Nachrichten nichts erzählen, das sind die Menschen, die zu Hause sitzen und anfangen nachzudenken, ja sogar umzudenken. Die Kinder, die Briefe schrieben und ihre Wünsche an die Politik formulierten, der 11-Jährige, der aufhörte Fleisch zu essen, weil er eine Doku anschaute, die 24-Jährige, die nun beim Essen darüber diskutiert, was Weiße Privilegien sind und du, die*der gerade diesen Artikel liest. Wir alle, wir können den Wandel in die Hand nehmen. Jetzt und Hier und es braucht nur ein bisschen Mut und ein bisschen Hoffnung.