Let’s talk about mental health!


In einer Interviewreihe habe mit Anne und Kolja gesprochen, die sich mit ihrer Depression in die Öffentlichkeit stellen…

Warum es nicht erst „richtig schlimm“ sein muss, um Hilfe zu suchen – ein Interview

TRIGGERWARNUNG: Psychische Erkrankung, Depression, Essstörung, suizidale Gedanken

„Ich habe immer das Bild, dass ich aus einer krank machenden patriarchalen Leistungsgesellschaft in eine Depressionsklinik komme, und dort fit gemacht werde für eine Wiedereingliederung in den Kapitalismus, anstatt dass gesellschaftliche Verhältnisse verändert werden.“ (Anne)

Wir müssen reden! Hast du auch in der Schule gelernt, was die Symptome einer Depression, einer Essstörung oder einer anderen psychischen Erkrankung sind? Hast du auch gelernt, was du tun kannst, wenn es die mental nicht gut geht? Nein? Ich auch nicht, und das ist ein Problem! Wie wäre es, wenn wir schon in der Schule über die menschliche Psyche sprechen würden und dadurch lernen könnten, dass es richtig gut ist, sich Hilfe zu holen?

In einer Interviewreihe habe ich mit Anne und Kolja gesprochen, die sich mit ihrer Depression in die Öffentlichkeit stellen und so zur Aufklärung und Entstigmatisierung beitragen. (In diesem Artikel findest du das Gespräch mit Anne und im nächsten zum Thema mental health das Interview mit Kolja.)

Gemeinsam haben wir die Reaktionen des sozialen Umfeldes auf die Diagnose „Depression“ angeschaut, uns gefragt, warum das gesellschaftlich immer noch totgeschwiegen wird. Außerdem haben wir über die politischen Aspekte von psychischen Erkrankungen gesprochen. In diesem Artikel geht es mir darum, einerseits psychische Gesundheit zu thematisieren, aufzuklären und Menschen, die in einer solchen Zeit wie der heutigen auch straucheln zu zeigen: Wir alle haben das Recht uns Hilfe zu holen.

Druck!-Redaktion: Wann hast du das erste Mal von Depressionen und ihren Symptomen gelernt?

Anne: Ich hatte in meiner Familie Menschen, die mit Depressionen zu kämpfen hatten. So habe ich das erste Mal davon gehört. Allerdings wurde in meiner Familie, wenn überhaupt, nur sehr komisch darüber gesprochen. All das war relativ weit weg und hat mich nicht in meinem Leben berührt. Dann war ich auf einer Tagung und habe dort einen Menschen getroffen, der gerade aus der Psychiatrie kam. Wir konnten wirklich gut connecten, ich habe mich sehr verstanden gefühlt und dann gemerkt, ich sollte mir doch mal Gedanken machen. Also habe ich begonnen zu recherchieren zum Thema Depressionen, habe ein Youtube Video von dem Kanal „Auf Klo“ gesehen, habe bemerkt, dass ich mich darin gut wiederfinden kann und bin dem Thema so immer näher gekommen.

Druck!: Wann hast du das erste Mal über eine Therapie nachgedacht und wie kam es dazu?

A.: Das war eine totale Überwindung! Ich hatte schon schwere Symptome einer Depression im Herbst 2018, da war ein Klinikbesuch oder so noch ziemlich weit weg. Dann im Herbst 2019 habe ich mich dann auf die Suche nach eine*r Therapeut*in gemacht aber mich nicht getraut, das Wort Depressionen im Zusammenhang mit mir selber gesehen. Ich dachte, ich hätte ein „Burnout“ und habe in einer Klinik gefragt, ob sie denn auch Burnout-Patient*innen nehmen würden. Als Antwort habe ich nur bekommen, dass da ja immer mehr dahinter stecke. Irgendwann ging ich dann zur ambulanten Therapie, wo mir gesagt wurde, dass eine reguläre Therapie nicht reichen würde und ich in eine Klinik gehen solle. Es war sehr, sehr schwer mir einzugestehen, dass ich unter Depressionen leide und dachte lange, das sei halt eine Phase nach dem Abi oder einfach Überarbeitung.

Druck!: Wie lange musstest du auf einen Therapieplatz warten?

A.: Sehr lange! Ich wurde bei meiner Suche nach Therapeut*innen oft direkt abgelehnt. Dann habe ich irgendwann die 116117 (Deutsche Depressionshilfe) gewählt und dann ein Gespräch bei einer Therapeutin bekommen. Das war überhaupt nicht gut, sie hat mich nur gefragt, wie Suizidgefährdet ich bin und dann gesagt, ich solle mich nur melden, wenn ich akut über Selbstmord nachdenke. Auf meinen Klinikplatz habe ich 5 Monate gewartet, allerdings wollte ich auch unbedingt in eine Klinik, in der es veganes Essen gibt, das ist mir sehr wichtig.

Wobei ich auf die erste ambulante Therapie nicht so lange warten musste, da hat allerdings die Therapeutin nicht zu mir gepasst. Es ist sehr wichtig, dass man sich wohlfühlt in einer Therapie!

Druck!: Wird das Thema mental health genug thematisiert?

A.: Definitiv nicht! Ich glaube zwar, dass wir im Verhältnis zu unserer Elterngeneration ein sehr viel mehr über psychische Erkrankungen sprechen aber da muss noch mehr passieren! Ich will nicht mutig genannt werden, weil ich offen über eine Volkskrankheit spreche. Die Suizidgefahr bei Betroffenen ist viel höher durch das gesellschaftliche Stigma, weil mensch sich selbst die Schuld gibt, nicht darüber sprechen kann. Wir könnten durch einen offeneren Umgang und mehr Bildung zu dem Thema Suizide verhindern. Mir ist aber auch immer wichtig zu sagen: Niemand muss über seine psychischen Erkrankungen sprechen können!

Druck!: Ist mentale Gesundheit politisch?

A.: Auf jeden Fall! Ich denke bei dem Thema Depressionen und psychische Erkrankungen müssen wir zum Beispiel Diskriminierungserfahrungen (Rassismus, Sexismus, Transfeindlichkeit…) und psychische Gewalt mitdenken. Zum Beispiel haben Trans-Jugendliche eine 40%  höhere Suizidgefahr aufgrund von Diskriminierungserfahrungen. Bei Depressionen ist Risikofaktor Nummer eins ein weiblich (gelesenes) Geschlecht und sexualisierte Gewalt.

Gerade aus diesen Gründen (und es gibt noch viel mehr) können Krankheiten nicht nur individuell betrachtet werden! Ich habe immer das Bild, dass ich aus einer krank machenden patriarchalen Leistungsgesellschaft in eine Depressionsklinik komme, und dort fit gemacht werde für eine Wiedereingliederung in den Kapitalismus, anstatt dass gesellschaftliche Verhältnisse verändert werden.

Druck!: Wie siehst du den Zusammenhang von Sexismus und psychischen Erkrankungen?  

A.: Es gibt eine Vielfalt von Formen von Depressionen, darunter auch zum Beispiel die hochfunktionale Depression. Diese werden meistens bei Menschen beobachtet, die mit dem Gefühl aufwachsen, besonders viel leisten zu müssen, um in der Gesellschaft anerkannt zu werden. Dazu kommt, dass ein Großteil der medizinischen Forschung heute sich an einer cis-männlichen Norm orientiert und dabei Menschen mit Vulva und einem ganz anderen hormonellen System und ganz anderen gesellschaftlichen Erfahrungen da mit in einen Topf geworfen werden.

Druck!: Was waren die schlimmsten/angenehmsten Reaktionen und Kommentare in deinem Umfeld?

A.: Eine der schlimmsten Reaktionen war, als ich damit zu meinem Hausarzt gegangen bin, hat er mich einfach nicht ernst genommen und nur gesagt, „echte Depressive“ sähen anders aus und würden nicht so viel arbeiten können wie ich. Mein Arzt hat mir damit mein Leid abgesprochen, danach ging es mir erstmal viel schlechter!

Gute Erfahrungen waren besonders die Situationen, in denen mich Menschen einfach umarmt haben und für mich da waren. Das Signal „ich sehe, dass es dir schlecht geht, ich bin für dich da“. Manchmal kamen auch sehr lieb gemeinte Ratschläge, die mir aber nicht geholfen haben.

Ich habe aber auch sehr schöne Erfahrungen gemacht, wo sich Menschen mit ihren eigenen psychischen Leiden und Depressionsgeschichten mir öffnen konnten. Dort hatte ich dann das Gefühl: Ich bin nicht allein und wenn ich mich öffne, kann ich anderen helfen, sich mitzuteilen.

Druck!: Wie war deine erste Therapiestunde?

A.: Meine erste gute Therapiestunde war eine Private, die ich aus eigener Tasche gezahlt habe. Ich hatte voll Angst davor und fand die Vorstellung voll unangenehm. Dann habe ich aber bemerkt: Da ist eine Person, die mir sehr offen zuhört und der ich ungefiltert alles erzählen kann, was ich meinen Freund*innen nicht „zumuten“ wollte. Obwohl ich damals noch ganz wirre Dinge erzählt habe, hat mir die Therapeutin sehr geduldig zugehört und dann gesagt: „Das muss ja echt voll schwer sein gerade.“ Ich war so erleichtert, dass ich ernst genommen werde. Die Therapeutin hat mir dann sehr viel geholfen und mich unterstützt, bei der Klinik anzurufen. Ich fand es einerseits schwer, mir da so helfen zu lassen, andererseits war ich so dankbar und froh zu bemerken, dass ich da nicht allein durch muss. Aber vor Kliniken denke ich immernoch oft „Was ist eigentlich dein Problem?“

„Ich empfehle wirklich allen mal in eine Therapie zu gehen, selbst wenn sie dann bemerken, dass sie das gerade nicht brauchen. „

Druck!: Sollten wir alle mal zur Therapie gehen?

A.: Ich empfehle wirklich allen mal in eine Therapie zu gehen, selbst wenn sie dann bemerken, dass sie das gerade nicht brauchen. Es hilft einfach total, offen reden zu können. Und wenn du dich fragst, ‚bin ich krank genug?‘ dann solltest du auf jeden Fall mal mit einer*m Therapeut*in sprechen! Leider gibt es einen Mangel an Therapieplätzen, aber wenn du zum Beispiel die 116117 anrufst, dann solltest du ziemlich zeitnah einen Termin bekommen.

Druck!: Wie geht es dir gesundheitlich mit den Corona-Maßnahmen?

A.: Manchmal frage ich mich, ob es so schlimm geworden wäre ohne Corona. Bestimmt weniger krass. Ich muss leider sagen, es wurde zu wenig Rücksicht auf psychisch erkrankte Menschen genommen. Allerdings will ich auch nicht in der Haut von den Menschen stecken, die gerade die Entscheidungsträger*innen in dieser Krise sind. Es gibt schon auch ein Entgegenkommen wie die Impfpriorisierung, nichtsdestotrotz war der Lockdown wirklich schwer für mich. Es gab auch Momente, in denen ich abwägen musste, ob ich mich jetzt an die Regeln halte, oder Menschen treffe. Das ist gar nicht so leicht. Ein Thema, womit ich auch leider Schwierigkeiten habe sind die Masken: Ich habe durch meine psychischen Erkrankungen unter der Maske ganz oft Atemprobleme, Angst, Schwindel und das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Trotzdem fällt es mir sehr schwer dann die Maske abzusetzen (trotz Attest), weil Menschen mir dann einen unglaublichen Hass entgegenbringen. Da fehlt leider die Differenzierung zwischen Denjenigen, die aus Ego-Gründen das nicht machen wollen und sich irgendwelche Schein-Atteste zulegen und denen, die echte Schwierigkeiten haben. Diejenigen, die nur aus Provokation die Maske verweigern verunmöglichen es anderen, die Maske abzusetzen z.B. in einer Angstsituation!

„Du bist nicht allein mit der Krankheit, den Sinnfragen und deinen Fragen an die Welt.“

Druck!: Was möchtest du unseren Leser*innen noch zu mentaler Gesundheit sagen?

A.: Hmmm (denkt nach) was hätte mir geholfen zu wissen? Okay, vielleicht das:

Schmerz ist subjektiv und es bringt nichts ihn mit dem Schmerz anderer zu vergleichen. Wenn du das Gefühl hast, du brauchst Hilfe ist es legitim, dir Hilfe zu holen. Du musst nicht alles allein schaffen! Es ist keine Schwäche, Hilfe zu brauchen! Depressionen sind keine Faulheit, sondern eine ernst zu nehmende Krankheit. Du bist nicht schuld daran. Du bist weder dumm, faul, noch blöd. Depressionen sind kein Randproblem, sie betreffen alle gesellschaftlichen Gruppen. Du bist nicht allein mit der Krankheit, den Sinnfragen und deinen Fragen an die Welt.

Du suchst Hilfe? Über die 116117 habt ihr Anspruch auf ein Erstgespräch bei einer*einem Therapeut*in.

Auf  dieser Website gibt es des Weiteren viele Informationen, sowie bei der deutschen Depressionshilfe.  

Du willst mehr zu dem Thema lernen?