Mit Barrikaden und Tripods gegen Harvester und Wasserwerfer


Die Rodung im Dannenröder Forst geht weiter und die Polizeigewalt nimmt zu

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Der Tag R ist gekommen I Pink, Privat I CC BY-SA 2.0

Disclaimer: Dieser Artikel berichtet von Politzeigewalt und Repressionen.

Im Sommer haben wir im Druck!-Magazin das erste Mal aus dem Dannenröder Forst berichtet. Dort soll 2020, inmitten einer ökologischen Krise, eine neue Autobahn gebaut werden. Trotz Klimakrise und der absolut notwendigen Verkehrswende.

Während im Sommer der Wald noch intakt und nur wenig Polizeikräfte vor Ort waren, so ist seit dem Tag R*(1, siehe unten) alles anders: Die Rodungssaison hat begonnen, und mit ihr die Zerstörung des Waldes. Es ist ein Kampf – David gegen Goliath – Wasserwerfer, Cherry Picker und Harvester*(2) gegen Baumhäuser, Tripods und menschliche Körper. Wir vom Druck!-Magazin waren vor Ort und haben uns ein Bild von der Lage gemacht.

Der Kampf geht weiter – trotz Minusgraden und Repressionen

Die Proteste gegen den Bau der A49 gehen weiter. Es werden über Nacht Barrikaden gebaut, die Aktivisti verharren trotz Minusgraden in Tripods, Baumhäusern und auf Plattformen. Schon im Vorhinein verfolge ich angespannt den Danni Ticker. Immer wieder tauchen Meldungen auf wie: Polizei schneidet Seil durch, schon wieder ist eine Person gefallen. Polizei setzt Elektroschocker auf Baumhäusern in 25 Metern Höhe ein.

Als ich an einem Dienstagabend im Camp bei der Mahnwache ankomme, ist es schon dunkel. Es nieselt und ist kalt. Nur die Scheinwerfer, welche die Polizeistation und die Rodungsschneise in Flutlicht tauchen, sorgen dafür, dass es nie ganz dunkel wird.

Durch ein Megafon ertönen Ansagen, es werden Zelte aufgebaut und im „free shop“ decken sich Menschen mit noch wärmerer Kleidung ein.

Nachdem wir das Zelt aufgebaut haben, begeben wir uns zur Küfa (Küche für Alle), wo wir ein warmes, lang ersehntes Abendessen bekommen. Schon nach wenigen Minuten sitzen und essen wird es kalt. Um nicht zu frieren muss mensch hier ständig in Bewegung sein. Bis spät in der Nacht helfen wir im Schein von Kopflampen und Lichterketten beim Abspülen und Desinfizieren der Teller.

Die Zerstörung geht weiter

Die Nacht war ganz schön kalt – trotz mehrerer Pullis, Hosen und Schlafsäcken. Als wir im Morgengrauen mit Essen in den Taschen zum Waldeingang laufen, warten dort schon einige Menschen. Wir gehen los in Richtung des Barrios „Morgen“. Dieses Barrio ist direkt an der Rodungskante und soll in den nächsten Tagen geräumt werden. Was wir machen ist Bodensupport: Wir beobachten die Situation und unterstützen die Aktivisti in den Baumhäusern, auf den Plattformen und in den Tripods.

Der Morgennebel verfliegt. Als wir am Barrio ankommen ist es schon durch eine Polizeikette abgesperrt. Im gesamten Wald ist die Stimmung angespannt. Und das nicht ohne Grund: Schon einige Male wurden Besetzer*innen in Lebensgefahr gebracht.

Die Polizei ging entgegen eigener Angaben weder bedacht noch langsam vor. Stattdessen schnitten Einsatzkräfte ohne Vorwarnung Drahtseile durch, obwohl diese mit der Aufschrift: „Lebensgefahr! Wenn ihr das Seil durchschneidet, fällt ein Mensch runter!“ gekennzeichnet waren. Doch nicht nur die Aktivisti sind in Gefahr: Es wurden hohe Bäume in direkter Nähe von einer Polizeikette gefällt. Wenn ein Baum bei einer solch riskanten Fällung abgerutscht wäre, so wären auch Polizist*innen in Lebensgefahr.

In einem (Meinungs-)Video warnt der Bewegungsgärtner, welcher mit seiner Kamera die Rodung begleitet: „Wenn der Einsatz so weitergeht, wird jemand sterben.“ Und weiter: „Ich verstehe nicht, wie man diesen hart gefährlichen Einsatz überhaupt noch weiter durchziehen kann (…).“

Und trotz der Vorfälle der vergangenen Wochen heulen an diesem Morgen wieder die Motorsägen. Die Rodungskante ist durch hohe Scheinwerfer in grelles Licht getaucht, und gegen die anrückenden, riesenhaften Hebebühnen und Harvester scheinen die Baumhäuser der Aktivisti klein und zerbrechlich.

Motorsägen und Gesang

„Für die Bäume für das Leben, Kündigung noch heut‘ abgeben“ tönen die Aktivisti den anrückenden Einsatzkräften entgegen. Diese verziehen keine Miene, sondern stellen sich vor dem Flatterband auf. Oben in den Traversen zwischen den Bäumen sitzen Akivisti und warten. Die Tripods sind besetzt und in einem niedrigen Baum hat sich eine Person sogar einfach ins Geäst gesetzt.

Als sich die Hebebühne sich den ersten Aktivisti nähert setzt der laute Gesang ein: „Du bist nicht allein, du bist nicht allein!“ Der Tripod wird geräumt und Stück für Stück, zwar langsam aber erbarmungslos wird „Morgen“ geräumt.

Wir stehen den ganzen Tag vor dem Flatterband und beobachten ohnmächtig, wie ein Bagger die mühsam aufgebauten Strukturen mit einem Hieb zerstört.

Währenddessen werden die geräumten Aktivisti abgeführt, teilweise werden Schmerzgriffe angewendet.

„Ein Polizist ist einfach auf mich losgestürzt und hat mich gewürgt“ berichtet ein Mensch, welcher am Morgen von der Polizei in die GeSa (Gefangenensammelstelle) gebracht worden war. Über den Tag hinweg können wir beobachten, dass Menschen, die mit uns vor dem Flatterband am Barrio stehen, ohne ersichtlichen Grund von der Polizei festgenommen werden.

Gewalttätig?

„Extrem gewalttätige Aktivisten“ titelt die Alsfelder Allgemeine, und RT Deutsch *(3)

berichtet über „Eskalierende Proteste bei Räumung des Dannenröder Forsts“. Die Polizei sei fortwährend mit Holzstämmen und Steinen beschmissen worden. Doch leider ignoriert die genannte Berichterstattung die Polizeigewalt, die angewendeten Schmerzgriffe, die Verletzungen die durch grobe Fahrlässigkeit (oder sogar absichtlich) entstanden sind. Wenn von Gewalt gesprochen wird, dann immer nur von Seiten der Aktivisti. Dass Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstöcke von der Polizei eingesetzt  werden, scheint kein Indikator für Gewaltanwendung.

Auch wird das Notfallpapier verschwiegen, was Besetzer*innen an die hessische Landesregierung, die Bundesregierung, die hessische Landespolizei, die Bundes- und Bereitschaftspolizei und Forstarbeiter*innenfirmen (uvm.) am 23.11.2020 verfasst haben. Darin heißt es: „Wir sind sehr besorgt. Mehrere Menschen sind durch vorsätzliches und fahrlässiges Polizeiverhalten, sowie fehlerhaftes Roden teilweise schwer verletzt worden. Dies ist inzwischen auch durch zahlreiche Videoaufnahmen und Zeug*innenaussagen bestätigt. Wir haben Angst, dass in Kürze Menschen sterben werden, wenn weiter gerodet wird wie bisher. Sammelklagen gegen die Einsatzleitungen werden bereits vorbereitet. Wir verlangen einen sofortigen Stopp des Polizeieinsatzes und der Rodungsarbeiten.“

In dem Papier werden technische Strukturen der Besetzung offenbart, um Menschenleben zu retten. Die Besetzer*innen schreiben weiter:

„Aber niemand will verletzt werden oder sterben. Wir geben unser bestes, damit das nicht passiert und deshalb schreiben wir ihnen heute. Wir vertrauen darauf und sind gleichzeitig davon abhängig, dass die Polizeikräfte uns nicht weiterhin gefährden und weiter von den Bäumen fallen lassen, wie sie es bereits die letzten zwei Wochen getan haben.“

Aufgeben ist keine Option

In dem Schreiben wird weiter verlangt, die Rodung zu stoppen. Denn trotz der Gefahren wird der Wald nicht aufgegeben. „Wir tun alles in unserer Macht liegende, um das traurige und definitive Schicksal unserer Zivilisation doch noch zu verändern und abzuwenden.“

Schreiben die Aktivisti im Notfallpapier. Denn: Beim Kampf um den Wald geht es um mehr als nur darum, eine Autobahn zu verhindern. Es geht darum, lokal und konkret gegen die Zerstörung von Natur vorzugehen. Und das werden die Besetzer*innen auch weiter tun. Bis zum letzten Baum.

Abschließende Worte:

Ich darf als Autorin an dieser Stelle das Offensichtliche zugeben: Ich finde die Rodung des Dannenröder Forstes absolut dämlich und unzeitgemäß. Deswegen ist dieser Artikel kein „neutraler“ Bericht, sondern er beinhaltet meine persönliche Meinung.

Also: #dannibleibt

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Flutlicht in der Rodungsschneise I Charlotte von Bonin I CC BY-SA 2.0

Links, Fußnoten und Informationen:

*(1) Tag R – Beginn der Rodungssaison

*(2) Harvester: spezielle Holzerntemaschine

     Cherry Picker: Hebebühne, um an höher gelegene Dinge (oder halt Aktivist) zu kommen

     Tripod: Drei gegeneinander gelehnte Baumstämme mit einem Sitz/Plattform in der Mitte (siehe Notfallpapier)

*(3) RT – Russian Today gilt unter Kritiker*innen als Auslandspropagandakanal von Putin.  

Der Bewegungsgärtner berichtet aus dem WaldIm Danni Ticker kann mensch die Rodung mitverfolgen.

Die Infoseite der Waldbesetzung