Systemchange für die Saatgut-Branche


Die Initiative OpenSourceSeeds will beim Saatgut alles anders machen: Nicht einem Konzern soll eine Sorte gehören, sondern – einfach allen Menschen. Das war früher normal, heute ist es eine revolutionäre Idee. Wir haben mit Lea Doobe von OpenSourceSeeds über die Idee gesprochen.

Der Landwirtschaftssektor ist in Deutschland für 7,4 % der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich, und dabei werden alle Emissionen durch Transport, Ställe und ähnliches rausgerechnet. Grund genug für eine radikale Agrarwende. Hinzu kommt, dass die Landwirtschaft die wichtigste Hoffnungsträgerin in Sachen Kohlenstoffspeicherung ist – eine Landwirtschaft mit gesunden Böden ist die Grundlage für eine klimapositive Zukunft. Heute ist sie aber meilenweit davon entfernt, das zu sein. Deshalb fragen wir uns, wie es anders gehen kann. Die Initiative OpenSourceSeeds setzt an der Wurzel an und hat ein Gegenmodell zum kapitalistischen Saatgutmarkt entwickelt: Saatgut mit einer Open Source – Lizenz.

Druck!-Magazin: Auf eurer Website steht: „Die Open-Source Regeln wurden erstmals von Computer-Wissenschaftlern definiert und aus dem Bereich der freien Software auf Saatgut übertragen. “ Das ist einfach so eine tolle, originelle Idee. Wie kommt man auf sowas?

Lea Doobe, OpenSourceSeeds: Johannes, der Gründer von OpenSourceSeeds, erzählt da immer eine Anekdote über eine Silvesternacht im Jahr 2013. Er hat sich mit Freundinnen und Freunden über eine Veröffentlichung über Gemeingüter unterhalten. Dabei hat er auch die Open-Source Prinzipien kennengelernt. Nachdem er einen Großteil seines Lebens mit Saatgut zu tun hatte, war die Idee naheliegend: „Sowas muss man doch auch für Saatgut machen!“

Erzähl uns doch mal, was OpenSourceSeeds ist, wie und wann ihr entstanden seid und woran ihr arbeitet.

Johannes war schon damals in dem Verein Agrecol e.V. aktiv. Dort und darüber hinaus fand er Unterstützer*innen für die Idee. Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe wurde gegründet und beschäftigte sich einige Jahre lang mit der Entwicklung der open-source Lizenz für Saatgut. Auch einige Pflanzenzüchter waren Teil der Gruppe und so konnte die Lizenz bei der Freilandtomate Sunviva direkt ausprobiert werden. Der Dienstleister OpenSourceSeeds wurde dann unter dem Träger Agrecol e.V. gegründet, um die Lizenz bei Züchter*innen und der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Aber auch, um die open-source Sorten zu verwalten, die verschiedenen Fragen rund um die Lizenz nach und nach zu beantworten sowie insgesamt Aufklärungsarbeit zu Marktkonzentration im Saatgutsektor zu leisten.

Eure Idee ist, das Saatgut das Eigentum von allen ist – und damit von niemandem, wenn ich das richtig verstanden habe. Ist das denn bei normalem Saatgut nicht so? Also gehört es mir nicht, wenn ich beim Baumarkt ein Tütchen Saat kaufe?

In der Regel ist es heute so, dass Unternehmen sich ihre neuen Sorten mit Hilfe des Sortenschutzes als ihr Eigentum aneignen. In den USA oder im Fall von gentechnisch veränderten Sorten auch in Europa kann dafür auch ein Patent genutzt werden. Sortenschutz oder Patente regeln, wem die Sorte gehört und wer was damit machen darf. Beide Instrumente dienen dazu, die Kosten der Pflanzenzüchtung zu decken und natürlich auch Geld damit zu verdienen. Aber sie beschränken gleichzeitig den freien Zugang zu dieser Sorte und deren Saatgut für andere Nutzer*innen.

Und was ist anders bei einer Open-Source Lizenz?

Die Open-Source Saatgut Lizenz tritt an die Stelle von Patent oder Sortenschutz, tut aber das genaue Gegenteil. Denn sie legt fest, dass erstens, alle das Saatgut für ihre Zwecke nutzen dürfen. Zweitens, niemand das Saatgut privatisieren darf, also niemand mithilfe von Sortenschutz oder Patenten private Besitzansprüche darauf stellen darf. Das gilt auch für alle Weiterentwicklungen und Neuzüchtungen aus open-source Saatgut. Und

drittens, werden zukünftigen Empfänger*innen die gleichen Rechte und Pflichten übertragen.

Wenn du es ganz einfach machen müsstest…

Die Wirkung einer Open-Source Lizenz lässt sich so zusammenfassen: Statt den Zugang zu beschränken, wird so der freie Zugang zu einer Sorte dauerhaft gesichert. Es gibt im Grunde nur eines, dass man mit open-source Saatgut und seinen Weiterentwicklungen nicht machen darf: Es privatisieren.

Wenn ich jetzt in meinem Garten eine neue Sorte züchte – kann ich die dann einfach mit einer Open Source – Lizenz schützen lassen? Wenn ja, wie? Was brauche ich dafür?

Tatsächlich ja! Dazu braucht es auch gar nicht viel. Wenn bei der Züchtung eine neue Sorte entstanden ist, die sich von schon bestehenden Sorten ausreichend unterscheidet, kann man sie problemlos als „open-source“ schützen lassen. Dazu braucht man nur ein Formular auf unserer Website auszufüllen. Damit man Saatgut einer neuen Sorte jedoch verkaufen darf, gelten immer noch die Bestimmungen des Saatgut-Verkehrsgesetz. Dazu ist auch die komplizierte Anmeldung beim Bundessortenamt notwendig. Solange es dabei aber nur um kleine Mengen geht, ist auch eine vereinfachte Anmeldung als Amateur-Sorte möglich. Das würde ich dir in diesem Fall empfehlen.

Wie macht ihr das, dass eure Lizenz nicht mit dem sehr komplizierten deutschen Saatgutrecht kollidiert, beziehungsweise: Wie ist eine Open Source-lizensierte Sorte mit dem ziemlich komplizierten Saatgutrecht vereinbar?

Es gibt ja zwei verschiedene Gesetze zum Thema Saatgut, beide habe ich zuvor bereits kurz erwähnt. Einmal gibt es das Saatgut-Verkehrsgesetz. Dieses hat das Ziel, dass nur hochwertiges Saatgut in den Handel gelangt. Es regelt, was eine neue Sorte alles mitbringen muss, um auf den Markt zu kommen. Zum Beispiel Einheitlichkeit, Stabilität und die Unterscheidbarkeit von anderen Sorten. Dieses Gesetz besteht unabhängig von der open-source Lizenz. Es ist für open-source Saatgut genauso gültig, sofern es gewerblich gehandelt werden soll. Ist das Saatgut aber nur für den Tausch und Hausgebrauch gedacht, muss die Sorte nicht angemeldet werden. Dann müssen diese strengen Regeln nicht erfüllt werden. Der zweite Gesetzesapparat ist das Sortenschutzrecht bzw. Patentrecht, welches die Besitzansprüche an Sorten und Saatgut regelt. Hier ist die open-source Lizenz im Grunde einfach eine dritte Möglichkeit, die anstelle der anderen Optionen tritt.

Irgendwie erinnert mich diese Idee von „Saatgut gehört allen und niemandem“ total an Commons. Können wir vielleicht einen kurzen Exkurs zu Commons machen an dieser Stelle?

Der Begriff Commons wurde aus dem Englischen übernommen, da es im Deutschen bisher keine Entsprechung gab. Am nächsten kommen noch die Begriffe Gemeingüter oder Allmende daran. Commons sind im Grunde eine eigene Wirtschaftsform, die aber abseits von Markt und Staat funktioniert. Dabei gibt es immer Nutzer*innengemeinschaft, die sich eigene Regeln und Pflichten setzt, um gemeinsam eine Ressource zu verwalten. Die Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom erhielt 2009 den Wirtschaftsnobelpreis dafür, dass sie zeigte, dass diese Wirtschaftsform sehr nachhaltig und erfolgreich sein kann.

Und warum sollte Saatgut ein Common sein?

Traditionell wurde Saatgut immer wie ein Gemeingut gehandhabt. Die Züchtung war nah verwoben mit dem Anbau und ein reger Austausch fand statt. Dieses Prinzip hat zu einer großen Vielfalt landwirtschaftlicher Sorten geführt – ein wertvoller Schatz. In vielen Ländern des globalen Südens ist das heute noch immer so. Dieses System ist aber von der fortschreitenden Privatisierung von Saatgut sehr gefährdet. Denn mit der Privatisierung wird Saatgut auch unabhängig vom Anbau ein lohnendes Geschäftsfeld. Das hat auch Vorteile, denn durch die Spezialisierung waren in der Vergangenheit enorme Ertragssteigerungen möglich. Gleichzeitig ist aber der größte Teil der ehemaligen Vielfalt verloren gegangen.

Und das ist ein Problem, weil…

Weil dieses System genau dann rentabel ist, wenn nur wenige Sorten großflächig angebaut werden. Im System der geistigen Eigentumsrechte sind die Einnahmen nämlich von der verkauften Saatgut-Menge abhängig. Das geht automatisch auf Kosten der Vielfalt. Inzwischen stehen dadurch immer weniger Sorten frei zur Verfügung. Der fortschreitende Klimawandel macht dies besonders brisant. Denn ein System, in dem nur wenige Sorten kultiviert werden, ist enorm anfällig für Klimaveränderungen und neue Pflanzenkrankheiten. Wir halten es daher für unbedingt notwendig, neben dem privaten Saatgut-Sektor auch ein Saatgut-Commons aufzubauen, dass die freie Züchtung ermöglicht und Vielfalt wieder neu entstehen lässt.

Haben Eure Ideen etwas mit dem klassischen Ökolandbau zu tun? Wie ist in der Öko-Branche so die Resonanz auf OpenSourceSeeds?

Für die ökologische Landwirtschaft taugt das System der geistigen Eigentumsrechte zur Finanzierung von Pflanzenzüchtung nicht, da die Anbauflächen eher klein sind und generell mehr Vielfalt kultiviert wird. Außerdem geht die Privatisierung von Saatgut vielen ökologischen Züchter*innen einfach gegen den Strich. Die Ökozüchtung hat daher grundsätzlich zu wenig Einnahmen, denn ein alternatives Finanzierungsmodell ist nur schwer auf die Beine zu stellen. Bisher wird ökologische Pflanzenzüchtung größtenteils von begrenzten Stiftungsgeldern bezahlt und viel Potential bleibt ungenutzt. Daher begrüßt die Öko-Branche insbesondere unsere Aufklärungsarbeit zu dem Thema und unsere Bemühungen um ein besseres Finanzierungsmodell für die ökologische Pflanzenzüchtung.

Wie sieht für Euch eine Landwirtschaft mit Zukunft aus?

Wir glauben, unsere landwirtschaftlichen Systeme brauchen in Anbetracht des Klimawandels vor allem eine größere Vielfalt, denn die sorgt für Widerstandsfähigkeit. Auch können wir viel ressourcenschonender produzieren, wenn die richtigen Sorten zur Verfügung stehen, die gut zu Boden und Klima passen. Für die Landwirtschaft der Zukunft gibt es viele coole Ideen, doch wir sind uns sicher: Vielfalt ist in jedem Fall ein wichtiger Schlüssel.

Das Coolste, was ich auf Eurer Website gefunden habe, war das Open Source – Brot. Also Brot, dass aus Weizen mit einer Open Source – Lizenz gebacken wird. Deshalb die wichtigste Frage zum Schluss: Wann kommt eine Bäckerei mit Open Source – Brot nach Stuttgart?

Man kann es kaum abwarten, oder? Zum Glück sind im letzten Jahr auch einige größere Akteure der Bio-Branche auf das open-source Brot aufmerksam geworden. Wir sind da im Austausch, der aber leider durch die Covid19 – Situation etwas durcheinandergebracht wurde. Wir hoffen aber, dass spätestens im nächsten Jahr open-source Brot in weitere Städte Deutschlands kommt. Ich drück dir einfach mal die Daumen, dass auch Stuttgart dabei ist. Wenn dir das zu unsicher ist, kann das Brot theoretisch überall auch auf Eigeninitiative produziert werden. Im Grunde braucht es nur einen Bauern, der den open-source Weizen Convento C produziert und einen Bäcker, der Brot daraus backt. Wer sowas für seine Stadt organisieren möchte, kann sich gerne bei uns melden.