This is what democracy looks like


Kommt mir nicht mit der Ökodiktatur! Die gibt es nicht. Klimagerechtigkeit und Demokratie gibt es nur zusammen.

Dieser Artikel ist auch in der Klimabroschüre von Fridays For Future Tübingen erschienen.

Dieser Text enthält meine Überlegungen zu und Erfahrungen mit Klimagerechtigkeit und Demokratie. Ich bin aber keine Politikwissenschaftlerin, kenne mich dafür aber ziemlich gut mit Demokratie als praktische Erfahrung aus. Ich werde keine Fragen beantworten wie: Welches Potenzial haben etwa Bürger*innenversammlungen für mehr Klimaschutz? Sollte Klimaschutz in die Verfassung aufgenommen werden? Was bedeutet Klimanotstand? Müssten nicht junge Menschen ein größeres Gewicht bei Entscheidungen über ihre Zukunft bekommen?

Stattdessen möchte ich zeigen, wie viele Antworten es auf diese Fragen in der Klimarechtsbewegung gibt. Um zu zeigen, welchen Stellenwert Demokratie in der Klimarechtsbewegung und damit für Klimagerechtigkeit hat. Spoiler: Er ist hoch.

Die Klimarechtsbewegung hat neue Ideen für eine moderne Demokratie

Zum Beispiel sind Bürger:innenversammlungen das Steckenpferd von Extinction Rebellion (XR). Nach „Sagt die Wahrheit“ und „Handelt jetzt“, lautet die dritte Forderung von XR: „Die Regierung muss eine Bürger:innenversammlung für die notwendigen Maßnahmen gegen die ökologische Katastrophe und für Klimagerechtigkeit einberufen. Die Regierung muss nach deren Beschlüssen handeln.“ Im Bürger:innenrat sollen durch ein ausgeklügeltes Losverfahren alle Gruppen der Gesellschaft repräsentiert sein und so ausgleichen, dass in unseren Parlamenten tatsächlich vor allem alte, weiße Männer sitzen.

Ob Klimaschutz in die Verfassung aufgenommen werden sollte, damit haben sich die Initiator:innen von German Zero befasst. Sie haben einen Klimaplan geschrieben und arbeiten (demokratisch, mit allen, die Lust haben mitzuwirken) weiter daran, darauf basierend Gesetzesentwürfe zu schreiben. Mit dem großen Ziel, Deutschland bis 2035 klimaneutral zu machen. Sie greifen also die wissenschaftlich hergeleitete Kernforderung von Fridays For Future auf und ziehen daraus ganz konkrete Schlüsse dafür, wie Deutschland als Staat mit den Mitteln der Demokratie dieses Ziel erreichen kann.

Was bedeutet Klimanotstand? Konstanz! Konstanz rief vor etwas über einem Jahr den Klimanotstand aus und verpflichtete sich dazu, bei lokalpolitischen Entscheidungen die Klimafolgen dieser Entscheidung immer mit zu berücksichtigen. Klimanotstand ist aber ein verwirrender Name: Die Assoziation zu den deutschen Notstandsgesetzen liegt nahe und bei diesen denkt man an Kriegszustand und autoritäre Regierungen. Dabei ist das gar nicht gemeint, sondern das Wort „Notstand“ beschreibt einfach, dass es sich um eine akute Krise handelt, die schnelles und konsequentes politisches Handeln erfordert. Vielleicht wäre Panik bei den Autor:innen von Welt und FAZ vermieden worden, wenn stattdessen vom Klimanotfall geredet würde.

Müssten junge Menschen nicht ein größeres Gewicht bei Entscheidungen über ihre Zukunft bekommen? Mit dieser Frage hat sich Fridays For Future, wo ich aktiv bin, vor allem zu Beginn intensiv beschäftigt. Wir wurden das oft gefragt: Ob wir eigentlich für eine Absenkung des Wahlalters seien. Es gab damals den unausgesprochenen Konsens, dass wir auf darauf etwas wie „Bestimmt ist an dieser Frage was dran, aber wir gehen fürs Klima auf die Straße “ antworteten. Das heißt nicht, dass nicht viele von uns das wichtig fanden.

Die Sache mit dem Wahlalter

Es war eine kluge Strategie, nicht darauf einzugehen. So vermieden wir, dass eine pseudo-revolutionäre Idee wie die Senkung des Wahlalters die Schlagzeilen dominieren konnte und konzentrierten die Aufmerksamkeit auf die Klimakrise.

Außerdem: Die Frage ist falsch. Sie gaukelt Gerechtigkeit vor, wo sie nur eine von vielen benachteiligten Gruppen in den Blick nimmt. Klar, es geht in der Klimakrise um Generationengerechtigkeit. Es ist wichtig, dass die Stimmen der jungen Menschen gehört werden. Es geht aber auch – und viel akuter – um soziale und globale Gerechtigkeit.

Denn in Deutschland gibt es viele Menschen, deren Stimmen wenig Gehör finden. Sei es, weil sie unter rassistischen, unter klassistischen (also diskriminiert werden auf Grund ihrer sozialen Klasse oder sozialen Herkunft) oder sexistischen Machtstrukturen leiden. Die Diskriminierung wegen des Alters – Adultismus gegenüber jungen Menschen genannt – ist da nur einer von vielen Faktoren. Leider. Und selbst, wenn wir ein demokratisches System schüfen, dass die Stimmen all dieser Menschen gleich berücksichtigen würde: Menschen im Globalen Süden ist damit immer noch kein Mitspracherecht in Sachen Klimakrise gegeben. Es ist die größte Herausforderung der Demokratie, ein wirklich gerechte Teilhabe an der Klimapolitik für alle Betroffenen zu ermöglichen. Denn das sind alle Menschen.

Die Debatte um die Senkung des Wahlalters beziehungsweise Partizipationsmöglichkeiten für junge Menschen beinhaltet die Gefahr, dass nach ihrem Abebben der Eindruck zurückbleibt, wir hätten uns in Deutschland ausreichend mit dem Thema beschäftigt. Dabei betrifft der Ausschluss von demokratischen Prozessen nicht nur junge Menschen. Sondern auch alle anderen marginalisierten Gruppen. Wir brauchen dafür Lösungen, die über das Wählen ab – je nach Vorliebe – 8, 12, 14, 16 Jahren hinausgehen.

Nichtsdestotrotz ist spannend, welche Antworten die Klimarechtsbewegung auf die Frage nach der Teilhabe junger Menschen gefunden hat. Und sich damit zu beschäftigen, wie intersektional diese sind – oder auch nicht – ist und bleibt wichtig. Wer mehr zur Einbindung junger Menschen in demokratischen Institutionen lesen will, findet dazu innerhalb der Klimarechtsbewegung Positionen und Ideen bei dem Verein „Demokratische Stimme der Jugend“. Oder bei der Generationenstiftung beziehungsweise im Buch „Ihr habt keinen Plan„, das deren Jugendrat veröffentlicht hat.

Klimagerechtigkeit ohne Demokratie ist eine Illusion

XR, German Zero, Konstanz, Demokratische Stimme der Jugend, die Generationenstiftung. Das sind nur fünf Gruppen der Klimarechtsbewegung, die sich mit Demokratie und Klimagerechtigkeit explizit befassen. Es gäbe so viele mehr, die zu nennen wären, weil sie in der Bewegung diskutiert oder gelebt werden: Experimente mit anderen Demokratiemodellen wie zum Beispiel das des Demokratischen Konföderalismus in Rojava.

Anarchistische Ideen und Diskussionen bei der Interventionistischen Linken, im Hambi oder bei Ende Gelände. Eine Demokratisierung der Wirtschaft, das Ende der Lohnarbeit und die selbstbestimmte Güterproduktion sind Grundgedanken des Commonismus.

Weniger revolutionäre, pragmatischere Ideen wie die des Law-and-Order-Klimaschutzes (wohlgemerkt: –schutzes), die man bei zum Beispiel beim Transformationswissenschaftler Harald Welzer finden kann, gehören auch zur Debatte um Demokratie und Klima.

Es ist für diesen Text nicht an erster Stelle wichtig, dass Lesende mit allen genannten Begriffen etwas anfangen können. Die Schlagwörter sollen lediglich eines klar machen: Die Klimarechtsbewegung ist sich in sehr vielen Dingen uneinig und streitet lebhaft darüber, wie der Umgang mit der Klimakrise aussehen soll. Aber wir alle sind von Grund auf Demokrat:innen.

Es ist für mich ein Zeichen von Ignoranz oder mindestens von dumpfer Voreingenommenheit, wenn Menschen mich in Diskussionen fragen, ob ich denn wirklich glaube, dass Klimaschutz in der Demokratie erreicht werden könne. Ein für alle Mal: Ökodiktaturen sind Unsinn. Die Debatte darüber ist Zeitverschwendung. Unbestritten müssen wir systemisch ansetzen, wenn wir der Klimakrise begegnen wollen – aber das problematische System ist das des ständigen Wirtschaftswachstums, problematisch ist das der radikalen Marktgläubigkeit. Und niemals das der Demokratie. Der Weg in eine klimagerechte Zukunft kann nicht anders als demokratisch gegangen werden.

Wir brauchen mehr davon. Das kommuniziert die Klimarechtsbewegung unentwegt nach außen. Und wir leben es tagtäglich innerhalb unserer Strukturen. Wer sich davon überzeugen will, der:dem empfehle ich hiermit, einfach mal bei einem Plenum von FFF, Ende Gelände, XR und Co. vorbeizuschauen (beziehungsweise, in Corona-Zeiten sich die Einwahldaten zu einem Video-Plenum zu besorgen). Wir stimmen ab, bilden Konsense, machen Blitzlichtrunden und diskutieren Entscheidungsmöglichkeiten aus, was das Zeug hält.

Aktionen des Zivilen Ungehorsams zum Beispiel sind so organisiert, dass die persönliche Haltung und die Empfindungen jeder Teilnehmer:in in den Entscheidungsprozessen einfließen. Für strategische Entscheidungen – Gehen oder die Blockade halten? Auf die Schienen oder auf die Straße? – werden ständig Plena abgehalten. Erst in der kleinsten Einheit, der Bezugsgruppe, die dann eine Delegierte in ein größeres Plenum schickt, aus der dann wiederum eine Delegierte in ein weiteres Plenum geht. Je nach Größe der Aktion gibt es unterschiedlich viele Stufen. So leben wir in Aktionen schon ein hierarchiearmes Modell von demokratischer Entscheidungsfindung, das es in der Normalität nicht gibt – und zeigen so, dass es auch anders und demokratischer geht.

Demokratischer Protest ist das beste Mittel gegen die Klimakrise

Als ich vor einem Jahr an einem von vielen Freitagen vom Stuttgarter Ableger des ersten Globalen Klimastreiks am 15. März zur Bahn lief, da war mein Hals kratzig vom Rufen und Johlen und ich befand mich stimmungsmäßig irgendwo zwischen euphorisiert und vollkommen erschöpft. Hier ist sie, die Jugend, dachte ich! Hier sind wir.

Fridays For Future ist für mich vor allem eines: demokratische Selbstermächtigung. Ich habe gelernt, wie viel Macht meine Stimme hat, wenn ich mich mit Anderen zusammenschließe. Ich habe gelernt, wie befreiend es ist, in selbstorganisierten Gruppen zu arbeiten und sich so Räume in der politischen Debatte zu erkämpfen.

Und das Tolle: Diese Erfahrung ist nicht nur ein Privileg von wenigen, in der Gesellschaft versprengten streikenden Schüler:innen, Studierenden und Azubis. Selbstwirksamkeit – so der Fachbegriff, habe ich gelernt – erleben alle, die sich ein-, zweimal auf eine Demo getraut haben. Wer den Verdacht hat, dadurch etwas ändern zu können und dann inmitten eines Großstreiks erlebt, wie viele Andere diesen Verdacht auch hatten, nimmt etwas mit.

Niedrigschwelliger Protest ist deshalb eine Schule für die Kernkompetenz zum Klimaschützen, dem Einfordern von Veränderung und der positiven Bereitschaft, sich selbst zu ändern. Die Organisation von niedrigschwelligem Protest kann uns etwas darüber beibringen, wie diese Veränderung gestaltet werden sollte – so demokratisch wie es geht. Klimagerechtigkeit gibt es nur, wenn es auf demokratischem Wege Teilhabe für alle gibt.

Mehr erfahren über Klimagerechtigkeit und Demokratie:

Alles könnte anders sein. Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen von Harald Welzer, Frankfurt/Main 2019

Ihr habt keinen Plan, darum machen wir einen! 10 Bedingungen für die Rettung unserer Zukunft. Vom Jugendrat der Generationenstiftung, 2019

Webinar über Commonismus aus der Reihe „Wir bilden Zukunft“ von Fridays For Future mit Simon Sutterlütt