Und manchmal bin ich krank


Vier Tage vor meiner ersten Abiprüfung sitze ich im Wartebereich einer Klinik, die auf Endometriose spezialisiert ist. Wobei sitzen fast schon das falsche Wort ist. Ich krümme mich vor Schmerzen und verfluche das Gesundheitssystem, das kranke Menschen stundenlang in Wartezimmern warten lässt…

(Anmerkung zu Beginn: dieser Text ist bereits über einen Monat alt, aber weil es eben so schwer ist einen Text zu schreiben und zu formatieren, während man die meiste Zeit mit krank sein beschäftigt ist, hat es eine Weile gedauert und viel Kraft gekostet diesen Text zu veröffentlichen.)

Vier Tage vor meiner ersten Abiprüfung sitze ich im Wartebereich einer Klinik, die auf Endometriose spezialisiert ist. Wobei sitzen fast schon das falsche Wort ist. Ich krümme mich vor Schmerzen und verfluche das Gesundheitssystem, das kranke Menschen stundenlang in Wartezimmern warten lässt. Drei Stunden später bin ich wieder zu Hause, mit drei Rezepten für diverse Schmerzmittel, einer OP Empfehlung und dem Wissen, dass überall in meinem Körper Gewebe ist, das da nicht hingehört. Absehen davon bin ich aber nicht viel schlauer als vorher. Der Arzt schien zwar kompetent, dafür aber wenig empathisch und wenn dir mit achtzehn Jahren gesagt wird, dass du chronisch krank bist, operiert werden und die Pille und einen Haufen Schmerzmittel nehmen musst und dir trotzdem niemand garantieren kann, dass es besser wird, dann ist es gutkompetente Ärzt*innen zu haben, aber Empathie hätte auch nicht geschadet.  

Vor einer Woche bin ich nachts vor unglaublichen Schmerzen aufgewacht, morgens war ich dann schon so fertig vor Schmerz und Fieber, dass ich halb heulend, halb abwesend in meinem Bett lag und nicht aufstehen konnte. Es dauerte aber eine ganze Weile, bis die Menschen um mich herum begriffen, dass es mir wirklich schlecht ging. Wenn du nämlich die ganze Zeit Schmerzen hast, reagiert dein Umfeld irgendwann nicht mehr darauf, weil es eben normal ist. Weil ich so große Angst vor Ärzt*innen habe und sie mich in den meisten Fällen sowieso nicht ernst nehmen, wollte ich auf keinen Fall dorthin, abgesehen davon war ich nicht in der Lage das Haus zu verlassen. Zwei Tage später, als es mir kurz besser ging, landete ich doch beim Arzt und dann im Krankenhaus. Dort blieb ich fünf Tage und nach dreißig Infusionen, einer zu langen Antibiose und unendlich vielen Schmerzmitteln durfte ich dann gehen. Eine Rechnung über fünfzig Euro Eigenanteil kam später per Post. Fünfzig Euro scheinen vielleicht nicht viel, aber wenn man kein Geld hat, sind fünfzig Euro viel. Vor allem, weil ich ja nicht freiwillig dort abhing.  

Jetzt sitze ich hier und versuche in Worte zu fassen, was mich seit Wochen beschäftigt, was ich fühle oder denke. Aber ich habe das Gefühl, dass es sowieso niemand verstehen wird und ich bin genervt von mir selbst, weil ich gar nicht mehr über meine Schmerzen oder Krankheiten reden will. Ich will nicht über sie reden, sie nicht fühlen und überhaupt nicht, dass sie da sind. Aber während meine Klasse ihre Abschlussfahrt plant und Pläne für nach dem Abi macht, versuche ich eine Terminlücke in meinem Kalender zu finden, in der ich Zeit für eine OP hätte. Gleichzeitig weiß ich, dass es nicht in meiner Hand liegt, weil nur eine falsche Bewegung mich direkt ins Krankenhausbringen kann.  

Und eigentlich habe ich keine Lust darüber zu schreiben. Das in verständliche Worte zu fassen und auch nicht positiv zu denken oder wie meine Freundin zu mir sagte: „hör auf im Selbstmitleid zu versinken.“ – Ich weiß, dass es mich nicht weiterbringt. Aber ehrlich gesagt, weiß ich gerade nicht, was mich weiterbringt. Ich möchte mein Abi machen und bei den Prüfungen und beim Abiball dabei sein. Ich möchte Pläne für den Sommer machen können und irgendwas haben, worauf ich mich freuen kann. Aber momentan fühl ich mich wie ein Zombie, der irgendwo rumschleicht den ganzen Tag und alle Gefühle verdrängt, weil ich sonst nur noch heulend im Bett liegen würde.

Meine Diagnosenliste ist lang und ich wünschte die hätten sich besser abgesprochen, aber so habe ich jetzt Long Covid, Endometriose, diverse Lebensmittelunverträglichkeiten, Heuschnupfen und die psychischen Sachen lassen wir jetzt mal weg. In jedem Fall harmonieren die alle nicht so gut miteinander. Um wieder gesund zu werden, müsste ich an meiner Kondition arbeiten, aber das geht nicht, solange ich kein Sport machen darf. Um nicht jeden Tag vor Schmerzen auf dem Boden zu liegen, müsste ich mich an krasse Ernährungsplänehalten, aber Verbote sind schwierig, wenn man zu Essstörungen tendiert. Und Heuschnupfen ist eine Nummer ganz für sich.  

Und dann sind es auch noch alles Erkrankungen die so wenig erforscht sind, dass die Behandlungen eher Experimente genannt werden sollten. Bei Corona legen wir ja eh großen Wert darauf, einfach so zu tun, als gäbe es es gar nicht und Long Covid sowieso nicht. Und bei Endometriose ist es nicht anders. Viel zu viele wissen gar nicht was das sein soll und das macht es auch so schwer, weil mein Umfeld gar nicht weiß, was ich habe und wenn man nach anderen Betroffenen sucht, stößt man auf Gruppen im Internet, aber dort treffen sich vor allem die, deren Behandlungen nicht gut laufen und so sehen die Prognosen in so Gruppen immer ziemlich schrecklich aus. Außerdem dauert es im Schnitt zehn Jahre, bis Betroffene überhaupt die richtige Diagnose gestellt bekommen und so kann ich fast schon von Glück sprechen, dass es bei mir so frühdiagnostiziert wurde. Gleichzeitig kann ich mich aber mit niemandem austauschen, weil ich niemanden im gleichen Alter und mit der gleichen Diagnosekenne.

Und es fühlt sich ziemlich einsam an. Es macht einsam, wenn man fast nie an irgendwelchen Feiern und Treffen teilnehmen kann. Es machteinsam, keinen Austausch zu haben und macht einsam in einem kaputten Körper, mit einer kaputten Psyche gefangen zu sein. Und wenn ich so lese, was ich geschrieben habe, fühl ich mich einerseits super egoistisch und blöd, weil ich weiß, dass andere noch viel schlimmer leiden und andererseits ist das egal, weil es meine Schmerzen ja nicht weniger schlimm macht. Und es klingt alles sehr gefasst, was ich da so geschrieben habe, obwohl ich gerade heulend vor meinem Laptop sitze und daran verzweifle, weil ich nicht weiß, wie ich das alles so rüberbringen kann, dass es so ankommt, wie ich es wirklich fühle. Dass irgendwer versteht, wie schlimm es eigentlich ist.

Und klar, im Endeffekt bringt es ziemlich wenig sich im Selbstmitleid zu baden. Aber vielleicht bleibt mir gerade einfach nichts Anderes übrig. Denn solange unser System so kaputt ist, dass so viele Krankheiten gar nicht als solche anerkannt sind, Ärzt*innen und Pfleger*innen nicht genug Zeit haben, Geld an erster Stelle steht und Menschen, und seien sie „nur“ erkältet, nicht die Pflege und Empathie bekommen, die sie brauchen, solange wir keine Strukturen haben, die inklusiv und barrierefrei sind, solange bleibt mir wohl nichts Anderes.