Wald statt Asphalt – ein Bericht aus dem Widerstand


Einmal quer durch den Wald soll die Schneise der Zerstörung geschlagen werden. Genau auf dieser Strecke befinden sich die Baumhäuser …

Wir vom Druck!-Magazin waren im Dannenröder Forst – einem Ort in Nordhessen, der vielen Menschen nicht einmal bekannt ist, der aber bald zu einem Ort der Zerstörung werden soll. Für den Weiterbau einer Autobahn sollen 85 Hektar Mischwald mit bis zu 300 Jahre alten Bäumen gerodet werden. Und das, obwohl es für diese Strecke bereits eine Autobahn gibt. Zudem geht ein Projekt wie dieses angesichts der voranschreitenden Klimakrise völlig an der Realität vorbei. Zusätzlich liegt unter dem Wald ein Trinkwasserschutzgebiet, welches nun dem Ausbau einer Autobahnstrecke geopfert werden soll. Als ob wir nicht schon Probleme mit Trinkwasser hätten durch die Auswaschung von Stickstoffdünger auf den Feldern.

Einmal quer durch den Wald soll die Schneise der Zerstörung geschlagen werden. Genau auf dieser Strecke befinden sich die Baumhäuser und Strukturen der Waldbesetzer*innen. Und auch nur da, um den Einfluss auf das Ökosystem möglichst gering zu halten, berichtet eine Besetzerin. Der Wald ist seit Ende September letzten Jahres besetzt. Seitdem werden mit weiterverwerteten Materialien Strukturen aufgebaut, mithilfe derer der Wald vor der drohenden Rodung geschützt werden soll. In der Zeit, in der wir vom Druck!-Magazin im Wald zu Besuch waren und mitgeholfen haben ist mir eines ganz klar geworden: Der Kampf um diesen Wald ist existenziell. Für die Menschen geht es hier um die Rettung eines Waldes, eines Trinkwasserschutzgebietes, aber auch um viel mehr. Die Klimakrise ist da. Sie hat diesen Sommer lautstark auf sich aufmerksam gemacht. Die Ignoranz, mit der weiter an klimaschädlichen Infrastrukturen gebaut wird, steht sinnbildlich für ein ausbeuterisches System, welches ungeachtet der Opfer weiter eine Schneise der Zerstörung und Unterdrückung durch die Natur und die Menschenrechte schlägt.

Aus dem Leben der Besetzer*innen

Die Menschen vor Ort bäumen sich gegen diese Zerstörung auf, sie lassen sich das nicht gefallen. Seit gut 40 Jahren gibt es lokal Widerstand gegen die Autobahn, die kein Mensch will und braucht. Dann kam letzten Herbst die Besetzung des Waldes dazu. Über das Leben im Wald will ich hier berichten. Wie läuft ein Tag in einer Waldbesetzung ab? Bestimmt nicht immer so friedlich und ruhig wie ich es erleben durfte. Aber das ist ein Ausschnitt aus der Zeit im Bario (Baumhausdorf) „Nirgendwo“:

Tag I

Als ich heute Morgen im Zelt aufgewacht bin, war ich erstmal total desorientiert. Neben mir lagen Robbie und Pink, meine Zeltteiler*innen. Ich war am Abend zuvor sehr früh schlafen gegangen, weil wir eine lange Reise hinter uns hatten und ich mich völlig erschöpft davon nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Nach einem ausgiebigen Frühstück bestehend aus containertem Obst und Brot habe ich mich erstmal auf die Baumhausplattform gesetzt und Gitarre gespielt. Hier im Wald gibt es nur veganes Essen, bis auf eine „freegane“ (containertes Essen mit tierischen Inhaltsstoffen) Küche im Bario „Oben“.

Anschließend bekamen Roa, Robbie und ich eine Waldführung von Paufi. Wir schauten uns die Barios an, die verteilt auf der Strecke der geplanten A49 gebaut wurden. Überall waren die Menschen geschäftig am Bauen, Stämme schälen und sägen. Ich fühlte mich den ganzen Tag träge und ein bisschen merkwürdig, das Lebenstempo ist hier ein ganz anderes. Viele Menschen laufen hier vermummt herum, da sie nicht erkannt werden wollen. Jede Person hat einen „Waldnamen“, der die Identität schützt. Den Klarnamen nennen wir nicht. Ich muss mich erst an diese Art der Anonymität gewöhnen und mich einleben, sodass ich über den Tag hinweg sinnvolle Aufgaben finde, die ich für das Leben hier im Wald tun kann.

Tag II

Hier bin ich Billie. Keine wirklich andere Person, nur etwas ruhiger als sonst. Der Tag begann gegen 10 Uhr mit einem gemütlichen Frühstück auf der Plattform in Nirgendwo. Rosine und Fred haben versucht Pfannkuchen zu machen, was aber leider nicht so einfach war. Nach dem Frühstück saßen wir zusammen mit Robbie, Pink und Roa unter der Regenplane und ich habe aus Harry Potter vorgelesen.

Dann bin ich mit Robbie und Pink bis nach Dannenrod gelaufen mit Kanistern und einem Handwagen, da die Wasserversorgung schwierig war. Wir durften die Kanister im Hinterhof von einem der Unterstützer*innen aus dem Dorf auffüllen. Bei der Mahnwache am Waldeingang wartete Foodsharing-Essen auf uns, was wir sortierten. Währenddessen beobachteten wir die Polizei, die mit fünf Wannen am Waldeingang stand und mit der Security sprach, die ab und an durch den Wald fährt, illegal die Aktivisti filmt und allgemein immer wieder bedrohlich wirkt.

Als wir fast fertig waren mit Essen sortieren zog die Polizei ab und wir winkten freundlich, mit einem ironischen Lächeln den vorbeifahrenden Wannen. Ich fühlte mich bedroht von der Polizei, da diese ja auch die Räumung mit durchführen werden. Jedes Mal, wenn wir auf die Straße gehen, ziehen wir ein Tuch oder einen Schlauchschal über, um nicht erkannt zu werden.

Langsam liefen wir mit dem quietschenden und schlingernden Handwagen voller Wasserkanister in Richtung Nirgendwo und zogen dort die Kanister mit dem Flaschenzug auf die Plattform. Inzwischen herrschte ein geschäftiges Summen im Bario, Menschen schnitzten, sägten, putzten und nähten. Ich beschloss mit Pink und Robbie ein Sofa zu bauen. Wir suchten aus einem Holzstapel Material aus, während uns Roa erzählte, dass vorhin ein Polizisti vorbeigekommen sei und den Besetzer*innen unbedingt seine Handynummer dalassen wollte. Mit welcher Motivation auch immer…

Wir sägten Bretter für das Sofa, bauten und schraubten.Danach gab es veganen Kuchen wegen eines Hundegeburtstages. Abends kamen noch einige Menschis ins Barreo und wir saßen zusammen, sangen Lieder und aßen. Ich lag lange mit Robbie in einer Hängematte und wir blickten in die wiegenden Baumkronen. Dabei sprachen wir über Liebe, das Leben und die Anarchie. Es ist unglaublich, wie hier eine Anarchie gelebt und ausprobiert wird. Und ich verrate zumindest eines: Es braucht eine kurze Gewöhnungsphase und dann ist es super!

Tag III

Der Wald ist friedlich, ab und zu kommen Menschis vorbei und grüßen freundlich. Am Morgen war ich im nahen Bach baden und mich waschen, es war kühl und erfrischend. Die Sonne fiel auf das klare Wasser und wärmte uns, als wir auf den kleinen Sandstrand kletterten. Als wir wieder in Nirgendwo waren, aßen wir einen Brunch und ich spielte einige Lieder auf der Gitarre, bis wir ins Dorf fuhren, um Eviction-Food, haltbare Nahrung für die Zeit der Räumung besorgten.

Dosen, Knäckebrot und Teigwaren füllten den Kofferraum. Wir beluden 3 große Wanderrucksäcke und spazierten an den Security-Menschen vorbei in den Wald. Sie hatten scheinbar eine Absperrung am Waldrand gebaut, die sie nun bewachten. Wie langweilig das sein muss, nur die ganze Zeit im Auto zu sitzen um eine Stahlkette und zwei Pfosten zu bewachen…

Während wir keuchend die schweren Rucksäcke durch den Wald schleppten, diskutierten wir über Klimagerechtigkeit und Klimaschutz. Es ist crazy, dass angesichts der Klimakatastrophe der Wald für eine Autobahn angebaggert werden soll. Wir werden in Zukunft noch mit Wasserknappheit zu tun haben, und jetzt zerfleddern die ein Wasserschutzgebiet. Das war ein echter politischer WTF-Moment! Ich versteh das einfach nicht.

Wie zogen mit gemeinsamer Kraft die Rucksäcke den Flaschenzug hoch und räumten das Eviction-Food ein. Anschließend ging ich ins Barreo „Oben“ und setzte mich in die Speedy-Round, eine Koordinationsrunde. Danach legte ich mich in eine Hängematte und las das Buch „Ökoterroristin“ weiter. Sehr inspirierend. Robbie, Roa und Pink gesellten sich zu mir und wir riefen Ed an, um ein Geburtstagslied zu singen. In der Dunkelheit liefen wir zurück nach Nirgendwo um beim Abendessen mitzuhelfen und beim Plenum mit dabei zu sein. Nach dem Plenum war es Nacht und ich kletterte müde von der Plattform und fiel in meinen Schlafsack.

Tag IV

Mein letzter Tag im Danni. Spaghetti ging es nicht gut, sie wollte nach Hause und ich war Fahrdienst. Ich arbeitete den Tag über an Baumstämmen, die geschält und entastet wurden mit einem Beil. Währenddessen plauderte ich mit einigen Menschis. Es war Rosines Geburtstag. Wir frühstückten zusammen und Postkarten wurden verteilt. Es gab Rosinen und Sojajoghurt.  Am Nachmittag war Zeltaction, wir bauten eins ab und ein anderes auf, packten Sachen um, spülten Teller und ich ging mit Spaghetti und Gerhard zum Waldeingang, wo wir uns gemeinsam auf den Heimweg machten.

Aus der Zeit nehme ich mit, dass es heute schon Orte gibt, an denen Anarchie gelebt wird und funktioniert. Auch wurden im Wald alle Menschen konsequent ohne Pronomen („sie/er“) angesprochen, sondern es waren immer Menschen. Seitdem fühlt es sich für mich übergriffig an, anderen Menschen einfach ein Pronomen zuzuschreiben und ich spreche meistens mit dem Namen und „Mensch“ an. Auch wenn das in der „Zivilisation“ erstmal für Irritation sorgt.

Das Bedürnis, mich zu vermummen, sobald ich die Straße betrete musste ich mir auch erstmal wieder abtrainieren, obwohl ich wirklich nicht lang im Wald war. Und mir ist klar: So entspannt, wie die Zeit war wird es nicht bleiben. Bald kommt der Tag R, der Wald wird geräumt, Menschen aus den Bäumen „gepflückt“ und die Baumhäuser, das Leben dort eingerissen. Für eine Autobahn, die ins letzte Jahrhundert gehört.

Nichts, gar nichts hat der Bau einer Autobahn in einem Wald, der dazu noch ein Trinkwasserschutzgebiet ist zu suchen! Es ist doch hirnrissig so zu tun, als gäbe es nicht die Notwendigkeit einer Verkehrswende, einem Wandel unseres Zusammenlebens auf diesem Planeten.

Wenn du den Wald unterstützen willst oder bei der Besetzung mithelfen willst, dann schau auf der Website vorbei oder besuch einfach die Mahnwache beim Sportplatz in Dannenrod.