Leider geht es in unserer Gesellschaft nicht um das Wohlergehen der Anderen. Viel zu oft ist sogar das eigene Befinden unwichtig.
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Wie gut kennst du deine Gefühle?
„Wie geht es dir?“ ist eine unglaublich wichtige Frage.
Eine Frage, deren Antwort uns eigentlich die unsichtbaren Gefühle unseres Gegenübers näherbringen könnte. Eine Frage, die mit der Zeit an Bedeutung verlor. Durch Wandel in unserer Gesellschaft ist die Frage heute nicht viel mehr als eine Floskel wie „Hallo“ oder „Mit freundlichen Grüßen“. Würde jede*r diese Frage ernst nehmen und ehrlich beantworten, wäre die Welt vermutlich eine ganz andere. Denn die Antworten, die wir auf diese Frage bekommen, lösen Mitgefühl in uns aus. Wir fühlen automatisch mit der*dem Gegenüber mit, auch wenn wir nicht die gleichen Emotionen durchleben. Leider geht es in unserer Gesellschaft nicht um das Wohlergehen der Anderen. Vielzu oft ist sogar das eigene Befinden unwichtig. Unsere Gefühle, inneren Werteund oft auch unsere Gesundheit sind viel mehr zu einem Hindernis geworden. Ein Hindernis, das uns daran hindert, die Ziele zu erreichen, die wir uns gesetzthaben – der Hausbau, die Beförderung, die To Do Liste, die man unbedingtabgearbeitet haben muss. Es gibt so vieles, was wir machen sollten. Aber die Frage ist doch eigentlich: Was brauchen wir wirklich?
Die Bedürfnispyramide
Wenn man an dieser Stelle die Maslowsche Bedürfnispyramide betrachtet, arbeiten die meisten Menschen auf die Selbstverwirklichung hin. Diese ist die Spitze der Pyramide. Und man könnte diese so interpretieren, dass es im Leben darum geht, die Spitze zu erreichen.Aber die Frage ist, wohin führt uns das Leben, wenn wir an der Spitze sind? Ich finde, man sollte die Pyramide anders betrachten.
Das eine Bedürfnis baut auf dem anderen auf. Also brauchen wir eigentlich von dem, was an unterster Stelle steht, am meisten. Und darauf sollten wir auch den größten Fokus legen. Wenn dann all unsere Bedürfnisse erfüllt sind, und wir uns um die Selbstverwirklichung kümmern können, weil die Grundbausteine dafür vorhanden sind, dürfen wir dennoch nicht vergessen diese Grundbausteine zu beachten.
Das Lebensdreieck
Die Pyramide ist ein Dreieck, aus welchem wir nicht ausbrechen können. Das Dreieck ist unser Leben. Die Selbstverwirklichung ist nur ein kleiner Teil davon.
Es geht nicht darum, besser und schneller zu werden. Es geht um Achtsamkeit und manchmal auch um Entschleunigung und Überdenken des Musters unserer Pyramiden. „Ist meine Ernährung noch passend? Sind meine sozialen Kontakte welche, die mir etwas geben? Und was kann ich anderen zurückgeben?“ Natürlich sind Ziele wichtig. Man sollte sich lediglich überlegen, wie man diesesetzt und inwiefern sie das eigene Leben beeinflussen. Beispielsweise dadurch,dass sie viel Zeit beanspruchen, wenn wir alles tun um diese zu erreichen. Und viel zu oft vernachlässigen wir dadurch unsere grundlegenden Bedürfnisse.
Die Gründe für das Verschwinden der Bedeutung Nachdem wir das mit den eigenen Bedürfnissen geklärt haben, kommen wir zurück zu der Ursprungsfrage. „Wie geht es dir?“ ist so viel mehr als eine Floskel.Wir haben die unglaubliche Eigenschaft uns durch Worte ausdrücken zu könnenund zu kommunizieren, was uns fehlt, was wir brauchen, wie wir uns fühlen.Babys können nur weinen und schreien, wenn sie sich unwohl fühlen. Dann ist esdie Aufgabe der Erwachsenen herauszufinden, was dem Kind fehlt. Aber es ist oftein Rätselraten und es vergeht eine Weile, bis man mit der passendenReaktion auf das Bedürfnis des Kindes eingehen kann.
Nun sind wir aber keine kleinen Kinder mehr, und wenn wir nur den Willen hätten uns mitzuteilen bzw. nachzufragen, würden wir mit nur wenigen Worten herausfinden können, wie sich unsere Mitmenschen fühlen.
Die Frage ist, warum tun wir es nicht einfach?
Ich glaube, dass sich viele aus der Verantwortung ziehen wollen. Was antwortet man, wenn das Gegenüber davon berichtet, dass es ihr*ihm gar nicht gut geht?
Und weil man selber nicht in diese Situation kommen möchte, antwortet man auf die Frage wie es einem selbst geht, irgendwann auch nur noch mit „gut“. Das Gegenüber muss also nicht nachdenken und man selbst auch nicht.
Vermutlich gibt es mehrere Gründe, wie aus der überlebenswichtigen Frage eine einfache Floskel wurde. Es ist also leider die Bedeutung der Frage verloren gegangen. -Und mit ihr ein Stück des Mensch seins.
Das Besondere am MenschseinUns Menschen macht so vieles aus. Der Mensch ist ein sehr intelligentes, emotionales Lebewesen. Wir haben die Möglichkeit, auf unterschiedlichste Art und Weise zu kommunizieren. Wir sind Wesen, welche nicht nur die Kompetenz besitzen, die eigenen Bedürfnisse zu betrachten, sondern auch die von anderen. Und wenn wir all dies – theoretisch zumindest – können, sollten wir uns die Frage stellen, warum wir uns von alldem entfernen.
Wieso wir uns und andere stattdessen vernachlässigen, nur um Gewinn und Glück ausMateriellem zu ziehen. Wir verlieren seit Jahren immer mehr von unserer Menschlichkeit und bemerken es nicht einmal. Jeder Mensch kommt als Individuum auf die Welt, wird aber in ein System reingesetzt, an welches er sich anpassen muss. In dem System geht es nicht um die Persönlichkeit der Einzelnen. Viel mehr geht es um die Funktionstüchtigkeit. – Man wird zu lebendigen Maschinen großgezogen.
Der Unterschied zwischen einem Menschen und einer Maschine ist nur die Fähigkeit zu fühlen. Ein Mensch fühlt und hat Bedürfnisse. Er kann sich verständigen und diese einfordern. Ein Stückchen Blech kann das nicht. Wenn wir aber aufhören, in uns hineinzuhören und uns selbst zu fragen, wie es uns geht und was wir brauchen, entfernen wir uns immer mehr davon, was den Menschen ausmacht. Dabei könnten wir doch aus der Vergangenheit lernen und umsichtiger, achtsamer werden.
Wir sind Menschen.Wir brauchen unsere Gesundheit, die Liebe unserer Mitmenschen und das gegenseitige Interesse an unserem Wohlbefinden. Wir brauchen einander. Darum darf die Frage „Wie geht es dir?“ keine Floskel sein. Und wir müssen aufhören, wie Verrückte unserer vermeintlichen Selbstverwirklichung hinterher zu rennen. Das Glück wartet nicht an der Spitze der Pyramide. Das Glück ist versteckt in der Erfüllung all unserer Bedürfnisse. Und unsere Gefühle sind das Kostbarste, was wir besitzen.
Quellen: https://bwl-wissen.net/definition/beduerfnispyramide