Wie war das nochmal mit dem Kapital?


In Diskussionen rund um das Klima wird häufig unsere Art zu wirtschaften erwähnt. Kapitalismus abschaffen und so. Aber was genau hat dieser Kapitalismus denn mit der Klimakrise zu tun?

Am besten fangen wir bei unserem zentralen Problem an: Die Klimakrise. Durch unverhältnismäßigen Ausstoß von Treibhausgasen und Zerstörung von Ökosystemen steigt die Durchschnittstemperatur auf der Erde, was katastrophale Folgen hat und haben wird. So viel ist allgemein bekannt.  

Deshalb stellt sich mir die Frage: Woher kommen all diese Treibhausgase und warum stoßen wir immer noch so viel davon aus?  

Die Antwort: Die immer weiter steigenden Emissionen sind eng mit dem weltweit steigenden Energieverbrauch verbunden. Ein großer Teil der Treibhausgasemissionen kommt aus der (Energie-)Produktion. Der Energieverbrauch ist eng mit dem Wirtschaftswachstum verbunden.

Was ist mit einer Entkopplung von Wachstum und Emissionen?  

Wirtschaftswachstum wird in der öffentlichen Debatte immer als erstrebenswert dargestellt. Von Wirtschaft und Politik kommt immer wieder der Vorschlag, wir könnten Wachstum und die Ausbeutung der Ressourcen doch einfach entkoppeln und „entmaterialisieren“ – sie also vom Rohstoffverbrauch unabhängig machen. Das heißt dann „Green New Deal“ oder „Grünes Wachstum“ und soll den Energieverbrauch insgesamt verringern.  

Phsysische Produktion und Transportwege sollen immer mehr reduziert und effizienter gemacht werden, indem die Wirtschaft mehr und mehr auf nicht-materielle „Produkte“, Dienstleistungen und Informationswege (vor allem Dank digtaler Kommunikation) umgelagert wird. Zusätzlich soll die Energieversorgung durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Ist das wirklich realistisch?  

Die Entkopplung, welche laut einigen Menschen in manchen Ländern stattfindet, ist keine wirkliche Entkopplung. Es ist nur das Verschieben der Produktion ins Ausland. Dort zu produzieren, ist oft günstiger, weil die Rechte von Arbeiter*innen weniger geschützt, Umweltauflagen schwächer und Steuern niedriger sind.

Befürworter*innen des sogenannten grünen Wachstums meinen trotzdem, dass das eine gute Idee ist. Statt physischen Wirtschaftszweigen sollten der Dienstleistungsektor und die Informationsproduktion wachsen und so anscheinend Ressourcen gespart werden.

Es ist aber so, dass die physische Wirtschaft weiter wachsen muss, wenn die immaterielle Wirtschaft wächst. Dienstleitungen benötigen Räume oder Geräte, die diese Dienste erst möglich machen. Sie ersetzen nicht, sie addieren nur noch mehr Konsum und Energieverbrauch. „Immaterial products require a material infrastructure.“ [„Immaterielle Produkte benötigen eine materielle Infrastruktur.“], heißt es in einem Papier des Europäischen Umweltbüros.

Außerdem führen technische Lösungen andernorts zu Umweltbelastung, oft auch zu Ausbeutung und Konflikten. Erneuerbare Energien brauchen oft Metalle und seltene Erden in der Produktion. Sie sind zwar auf den ersten Blick klima- und umweltfreundlicher, aber auch nicht zu 100%. Natürlich brauchen wir trotzdem vollständig erneuerbare Energieversorgung. Ohne eine Reduktion des Energieverbrauchs können wir den Ressourcenverbrauch aber nicht auf ein verträgliches Maß senken.

Zudem führt Effizienzsteigerung selten zu wirklicher Einsparung von Emissionen. Im Buch „Qualityland“ von Marc-Uwe Kling, welches eine komplett digitalisierte, marktradikale Zukunft darstellt, spricht der Protagonist mit einem selbstfahrenden Auto. Diese Autos sind wesentlich effizienter als unsere heutigen Fahrzeuge, da sie so gut wie nie ungenutzt herumstehen. Sie sind nicht in Privatbesitz, sondern eine öffentliche Dienstleistung. In der Vision des Buches versprechen die Mobilitätsdienstleister*innen, dass ihr Angebot deshalb die Umweltbelastung reduzieren würde – genauso wie viele Automobilkonzerne in der Realität, die an selbstfahrenden Fahrzeugen arbeiten.

Das fiktive Auto in „Qualityland“ erwähnt Jevons Paradoxon. Dieses Paradoxon ist heute bekannt als Rebound-Effekt: „Technologischer Fortschritt, der die effizientere Nutzung einer Sache erlaubt, führt durch Senkung der Kosten zu einer erhöhten Nutzung.

Wiliam Stanley Jevon stellte fest, dass der Kohleverbrauch in England nach der Einführung einer effizienteren Dampfmaschine anstieg, da die Dampfmaschine aufgrund der niedrigeren Kosten verstärkt eingesetzt wurde. Vereinfacht gesagt: Bessere Maschinen machen es möglich, schneller und günstiger mehr zu produzieren und bewirken deshalb das Gegenteil von dem, was wir uns von ihnen versprechen: mehr Ressourcenverbrauch. Weitere Beispiele für diesen Effekt sind Zeitgewinne durch eine moderne Verkehrsinfrastruktur, die zu mehr Fernreisen führt. Oder höhere Computerleistung, für aufwändigere Software benötigt wird.  

Müssen wir wachsen?  

Das zeigt uns, dass weder Entmaterialiserung, Effizienzsteigerung, noch technische Innovation wirklich helfen, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und der Klimakrise entgegenzuwirken. Das Wachstum ist das Problem.  

Im Kapitalismus besteht aber ein Wachstumszwang. Fast alle Akteur*innen müssen ihre ökonomischen Anstrengungen erhöhen, um nicht existenziell gefährdet zu werden. Aber warum genau müssen sie das?

Unternehmen stehen im Kapitalismus im Wettbewerb miteinander, sie konkurrieren um die besten Plätze auf dem Markt. Um nicht pleite zu gehen, müssen die Gegner*innen übertroffen werden, oder zumindest muss ein Zurückfallen hinter die Konkurrenz verhindert werden. Dies geschieht durch ständige Reinvestition und Weiterentwicklung der Angebote.  

Hier sprechen wir von einem Innovations- und Investitionszwang. Um im Wettbewerb nicht zurückzufallen, müssen neue (oft unnötige) Produkte geschaffen werden oder die schon bestehenden Produktionsabläufe effizienter und günstiger – allgemein profitabler – gemacht werden, was auch soziale und klimatische Folgen hat.

Individuen sind auch in diesem Kreislauf der Wachstumszwänge involviert: Sowohl Firmen als auch der Staat sind von Privatpersonen abhängig, die konsumieren, beziehungsweise Steuern zahlen. Im Kapitalismus können Menschen aber nur konsumieren und Steuern zahlen, wenn sie eine Arbeit haben und entlohnt werden. Also ist es für Wirtschaft und Politik erstrebenswert, Vollbeschäftigung zu erreichen.  

Gesteigerte Produktivität, zum Beispiel durch technischen Fortschritt, führt jedoch dazu, dass die Wirtschaft wachsen muss, um die Arbeitszeiten konstant zu halten. „If labor productivity rises, economic growth of similar magnitude becomes necessary to keep working times constant.“ [„Wenn die Produktivität steigt, dann braucht es Wirtschaftswachstum der gleichen größe um die Arbeitszeiten konstant zu halten„]  [2] schreiben Oliver Richters und Andreas Siemoneit in einem Papier der Universität Oldenburg.  

Also gibt es nicht nur für Firmen, sondern auch für den Staat Wachstumszwänge.

Am Konzept der entlohnten Arbeit zeigt sich: Auch Individuen stehen in Konkurrenz zueinander. Privatpersonen konkurrieren um Arbeitsplätze und Löhne. Und auch sie haben einen gewissen Investitionszwang: Neben der Erhöhung der sozialen Stellung – die sich übrigens auch auf die Jobchancen auswirkt – dienen technische Geräte und andere Produkte vor allem der individuellen Effizienzsteigerung durch zum Beispiel ein besseres Auto oder ein besseres Handy. Diese Effizienzsteigerung ist notwendig, um auf dem Arbeitsmarkt nicht zurückzufallen. Somit führt die kapitalistische Konkurrenz zum Wachstumszwang des Individuums.

Durch kapitalistische Konkurrenz entstehen also Wachstumszwänge für Firmen, Staat und sogar für Individuen, welche sich gegenseitig verstärken. Um zu wachsen, müssen sie alle mehr Rohstoffe verbrauchen. So steigen durch Wachstum der Energieverbrauch und die Emissionen. Wir müssen also weg von Konkurrenzdenken, Profitzwang und Co.  

Also: Weg vom Kapitalismus.

Und das ist nur der Anfang  

Der Zwang führt dazu, dass wir so günstig wie möglich produzieren. Umweltschonend und konform mit Menschenrechten zu produzieren, kostet – Kostensenkung heißt also: Ausbeutung von Natur und Mensch. Die ständige Kostensenkung hat uns die Klimakrise beschert, die ungerechterweise diejenigen härter trifft, die am wenigsten für sie können.  

Wir leben nicht in einer Meritokratie, in der jede*r das schaffen kann, was sie*er will. Nicht alle haben ab ihrer Geburt die gleichen guten Startbedingungen. Gute Bildung, sinnvolle Arbeit und eine gute soziale Stellung sind unfair verteilt.  

Ungerechtigkeiten entstehen mitunter dadurch, dass Firmen und Individuen, die ein höheres Startkapital haben, mehr investieren können. Sie haben somit auch bessere Chancen auf hohe Gewinne, Bildung und Wachstum . Je schlechter die Startbedingungen, desto geringer die Chancen, finanziell „erfolgreich“ zu sein. Auf Dauer ist das ein Teufelskreis, aus dem nur wenige Menschen ausbrechen können.

Aber das ist nicht die einzige ungerechte Folge des Kapitalismus.

Die abgehängten und ausgebeuteten Menschen sind wiederum am stärksten von der Klimakrise betroffen, da sie sich weniger Schutz vor deren Folgen leisten können, unterdrückt und vernachlässigt werden. Zusätzlich leben sie oft in Regionen der Welt, die früher und/oder stärker von der Klimakrise betroffen sind.

Die Klimagerechtigkeitsbewegung hat deswegen ihren Namen nicht ohne Grund: Es geht nicht nur um Klimaschutz, sondern auch um globale Gerechtigkeit. Es gilt, intersektional zu arbeiten, Kämpfe zu verbinden und gemeinsam kapitalistische, patriarchale und faschistische Strukturen zu bekämpfen und abzubauen.

Interessantes Video zum Thema:

https://www.youtube.com/watch?v=JSGuy3LA-d0&t=703s