Zwei Tage durch den rheinländischen Widerstand


Ein Reisebericht über ein Wochenende im Herzen der deutschen Kohleindustrie. Dort finden wir Zerstörung, aber auch den Widerstand.

Wir laufen durch Immerath, ein Dorf in Nordrhein-Westfalen, Stadtteil von Erkelenz, Kreis Heinsberg. Dass hier Immerath ist, beziehungsweise war, ist für aufmerksame Augen nur durch ein paar Straßenlaternen zu erkennen, die die ehemaligen Straßen säumen. Das Dorf wurde völlig platt gemacht, abgerissen, von der Landkarte gelöscht. Die Bewohner*innen zwangsumgesiedelt, nach Neu-Immerath. Nur ein Bauer mit Sohn und Schwiegertochter ist zurückgeblieben. Es wurde bisher noch kein passendes Land für ihn gefunden.

Britta von der Initiative Alle Dörfer bleiben führt uns durch das Dorf, in dem sie geboren wurde. Sie zeigt auf ein Stück Wiese, wo ihre Schule gewesen ist und einen Erdhügel, an dessen Stelle das Haus ihrer Großtante stand. „Ich stehe hier und weiß nicht mehr, wo ich bin.“ erzählt sie. „Meine Oma sagte immer ‚Man kann sich in den Feldern nicht verlaufen, denn egal, wo man steht, man sieht immer einen Kirchturm.’ Zwei von diesen Orientierungspunkten sind bereits im Loch verschwunden: Der Immerather Dom und St. Laurentius Borschemich. Orientierung und Erinnerung werden uns weggebaggert.“ Ich schlucke, denn erst hier wird mir klar, was das wirklich bedeutet. Was und wie viel es bedeutet, wenn das Energieunternehmen RWE für das Abbauen von Braunkohle im Tagebau tatsächlich Dörfer abreißt und umsiedelt.

Ich bin für zwei Tage ins Rheinland gefahren, um mit einer kleinen Gruppe von Aktivist*innen und der Degrowth- und Klimaaktivistin Tonny Nowshin aus Bangladesh den Ort der Zerstörung und den Ort des Widerstandes der Braunkohleindustrie in Deutschland zu besuchen. Das rheinische Kohlerevier, seine Tagebaue, gefährdete Dörfer und Menschen, und natürlich der Hambacher Forst, der für die deutsche Klimagerechtigkeitsbewegung das Widerstandssymbol schlechthin geworden ist.

Trotz vollen Terminkalenders, Umzug und Uni habe ich mich entschieden, der Einladung nachzukommen und mich in den Zug nach Hochneukirch gesetzt. Nicht nur, weil ich mich mit Mitaktivisti vernetzen kann sondern auch, weil dieser Ort so elementar für die Klimagerechtigkeitsbewegung in Deutschland ist. Und somit auch für mich. Ich hatte den Eindruck, dass das für mich und meine Motivation, für die immer wieder neue Entscheidung zum Aktivismus wichtig ist. Und so touren wir an diesem sonnig-windigen Tag durch das Rheinland. Wir- das sind Aktivisti von unter anderem Fridays for Future, Ende Gelände, aus dem Hambi (also der Waldbesetzung des Hambacher Forstes) und Alle Dörfer bleiben. Es ist wie ein Familienausflug, nur dass ich die Mitglieder fast ausschließlich gerade erst kennenlerne oder das erste Mal nicht-digital, und der Anlass eher tragisch ist.

-Hier stand einmal der Immerather Dom. Jetzt erinnern nur noch die Straßenlaternen und der RWE Werkschutz daran.-

Nachdem wir Immerath unter der ständigen Beobachtung eines Pick-Up Trucks des RWE Werkschutzes verlassen, fahren wir nach Keyenberg. Obwohl Immerath bereits abgebaggert ist und eigentlich als nächstes der Grube weichen soll, baggert RWE momentan Richtung Keyenberg. „Das ist eine ihrer Strategien die Bewohner*innen des Dorfes unter Druck zu setzen“ meint Britta. Denn Keyenberg steht noch und die Bewohner*innen setzen alles daran, dass es so bleibt. Das Dorf ist ein bisschen die Zentrale des Widerstandes. Wir sehen auf den ersten Blick, wie es davon geprägt ist: das gelbe Kreuz, das Zeichen von Alle Dörfer bleiben, Schilder und Sprüche sind im Dorf, an Bäumen, Hauswänden und an dem Dorfschild zu finden.

Britta zeigt uns den Friedhof. Die Mauer ist am Eingang rausgerissen (wie bereits Lucia und Ben vor einigen Wochen im Druck! Magazin berichteten) und der Friedhof leert sich. Statt Grabsteine stehen dort jetzt kleine Holzschilder mit den Namen der Toten und dann: „umgebettet in Gemeinschaftsgrab“. Britta verzieht das Gesicht „Sie nennen sie Gemeinschaftsgräber, wir sprechen von Massengräbern.“

Der nächste Stopp ist der Grubenrand. Garzweiler 2 heißt das Ungetüm, das sich als immer größer werdende Grube unter dem Kommando der RWE Power AG ausbreitet. Wer noch einmal sagt, dass Windräder die Landschaft verschandeln, den karre ich direkt dorthin und frage noch einmal nach. Es hat eine traurige Ironie, dass tatsächlich rund um den Grubenrand Windräder sind. Als stünden sie entschuldigend Spalier für etwas, das sie längst hätten ablösen sollen.

Wir laufen auf die Schranke zu, die uns von der Grubenkante fernhält. Eine junge Person rennt uns mit wehenden Haaren von der anderen Seite entgegen, auf ihren Begleiter zu, der neben uns steht. „Das ist so geil!“ Ruft sie außer sich. Sie ist an der Schranke vorbei näher herangetreten an den Bagger, der ungefähr 30 Meter von uns entfernt die oberste Erdschicht abbaggert. Seine Schaufel ist kreisförmig, dreht sich gleichförmig und überraschend leise. In jedes seiner Schaufelblätter passt ein PKW. Leise und gleichgültig baggert er. Es könnte fast schon elegant erscheinen. Aber er baggert, baggert Erde weg, Boden weg, Orte weg, an denen Menschen, Tiere, Pflanzen lebten. Mit jeder leisen Umdrehung, die er scheinbar unaufhaltsam macht, verschwindet etwas.

Es ist das erste Mal, dass ich a) einen Bagger aus nächster Nähe sehe und b) wie er tatsächlich die erste Erdschicht, mir den Boden unter den Füßen weg gräbt. Ich frage mich, in was für einer Welt, die Das-ist-so-geil-Person lebt. In einer, die keine Erde braucht? In einer, mit der die Zerstörung, die hier passiert, nichts zu tun hat?

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Dass das eigene Zuhause bald in einem Loch verschwinden soll, mobilisiert viele Anwohner*innen dazu, aktiv zu werden. Einige von ihnen treffen wir auf einer kleinen Climate Talk Veranstaltung an, die wir in Erkelenz im Park abhalten. Tonny erzählt von Bangladesh, dem aktuellen Kohlekraftprojekt Rampal dort (einen Artikel dazu gibt es auch bei uns im Druck! Magazin), von Rassismus in der Klimagerechtigkeitsbewegung. Die Menschen, die gekommen sind, sind nicht (Klima-) Aktivist*innen aus irgendeinem Grund. Nicht weil die Klimakrise ihnen die Zukunft klaut, nicht weil sie wissenschaftliche Studien gelesen haben. Sie sind Aktivist*innen, weil sie von der krisenhaften Klimapolitik betroffen sind. Jetzt. Unmittelbar. Gezwungenermaßen. Die Tragweite der existenziellen Bedeutung ihres Protestes wird mir dort bewusst. Ich kämpfe meistens für andere mit meinem Aktivismus – sie kämpfen vor allem für sich selbst, ihr Zuhause, ihre Kommune.

Abends geht es dann (endlich!) in den Hambi. Darauf hatte ich mich am meisten gefreut. Bisher war unsere Bekanntschaft eher punktuell und entfernt. Im Oktober 2018 war ich auf der Großdemonstration gewesen (hier ein Bericht eines*r Waldbesetzer*in zu diesem Tag), im Sommer 2019 hatte ich näheren Kontakt mit den Schienen der Hambachbahn, die normalerweise die Kohle aus dem Tagebau Hambach abtransportiert. Ansonsten kenne ich den Wald nur aus unzähligen Erzählungen naher und ferner Menschen.

Wir müssen über Umwege Richtung Wald fahren, an Betonklötzen vorbei, die auf Versorgungsstraßen liegen und wie aus Versehen dort von RWE vergessen wurden. Der Schikaneverdacht ist unausweichlich. Das Barrio, also das Baumhausdorf, in dem wir übernachten werden, hat mehrere Baumhäuser, die in 10 bis 20 Metern Höhe in den Baumkronen hängen wie große Früchte. Auch Bodenstruktur ist da: eine Kompost-Toilette, Regenwasserdusche, Feuerstelle und ein Tower, also ein mehrstöckiges Gebilde als Gemeinschaftsstruktur mit Holzofen zum Kochen und Sofas zum Sein. Wir schnippeln gemeinsam mit Menschen aus dem Wald containertes und gespendetes Gemüse. Ein Mitbewohner aus dem Hambi, der uns über den Tag schon begleitet hat und in seinem Barrio willkommen heißt, kocht daraus eine Mahlzeit, die gut schmeckt, die nach Wald schmeckt.

Abends am Lagerfeuer erzählt ein*e Waldbesetzer*in von ihrem Baumhaus, an dem sie bereits seit 1,5 Jahren arbeitet. Es hat einen Balkon, Glasfenster, zwei Stockwerke und wird wahrscheinlich nie ganz fertig sein. Im Sommer will sie arbeiten gehen, genug dass es wieder für einige Zeit im Wald reicht. Abends am Feuer rutschen die Masken und Tücher, die um die Köpfe der Menschen gewickelt sind, auch mal runter. „Nachts trauen sich die Bullen nicht hierher.“ Sagt ein Mensch. Zum Schutz vor Repression und Identitätserkennung sind die meisten Bewohner*innen des Hambacher Forstes vermummt. Verschiedenste Ausführungen von Schlauchtüchern, T-Shirts, Mützen, Masken verdecken ihre Gesichtszüge. Manchmal sind nur die Augen erkennbar. Am Anfang kann dies einschüchternd wirken, doch ich gewöhne mich schnell daran. Durch Corona ist Vermummung ja sozusagen Mainstream geworden. Wenn auch aus anderer Motivation.

Die Nacht im Wald ist schön, eingekuschelt im Zelt mit fellow Fridays for Future Aktivisti. Morgens wecken uns Sonnenstrahlen und Vogelgezwitscher

Für den Vormittag sind alle Menschen aus dem Wald eingeladen zu einem Talk von Tonny zu ihrer Erfahrung, ihren Geschichten aus Bangladesh und ihrer aktuellen Arbeit mit der Save the Sundarbans Kampagne. Es sind starke Momente. Denn es ist klar: Von Hambach bis in die Sundarbans ist es „one struggle, one fight“, gegen fossile Energie und für den Wald. Solidarität hängt in der Luft, und der Wille etwas zu verändern. Die deutsche Firma Fichtner, die federführend für den Kohlekraftwerkbau am Rand des Mangrovenwaldes Sundarbans ist, wird diesen Willen wohl noch zu spüren bekommen.

Gegen Nachmittag mache ich mich auf den Weg. Mit meinem Rucksack auf dem Rücken verabschiede ich mich von neuen und alten Verbündeten und laufe Richtung Buir, wo der nächstgelegene Bahnhof ist.

Der Wald ist so friedlich um mich herum und mystisch. Doch ich weiß, dass nur einige hundert Meter weiter das Loch lauert, das auch dieses Stückchen Wald noch zu verschlucken droht. Wenn nicht durch die Baggerschaufeln, dann durch das Abpumpen des Grundwassers, was den Wald austrocknen wird. Rings um die Tagebaue wird das Wasser abgepumpt, da es sonst in die Gruben laufen würde. Das Absinken des Grundwasserspiegels sei noch bis Paris zu messen, hat gestern jemand im Auto erzählt.

Tragisch-schön war das Wochenende, denke ich mir, als ich im Zug sitze. Tragisch, weil sich mir die Zerstörung durch die Kohlekraft auf so vielen Ebenen ungeschminkt gezeigt hat. Schön, weil da Menschen sind, die alles daran setzen, diese Orte zu schützen. Und weil wir alle mehr und weniger unterschiedliche Motivationen und Handlungsfelder und Kämpfe haben, aber doch für eine Sache kämpfen- und das am besten zusammen: Klimagerechtigkeit.

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[Bilder:1-4 Nisha

6-9 Gabor Fekete]